justinfurstenfeld songsbooknb-nackenschonerDass es in unserer schönen Welt meistens nicht gerecht zugeht, diese Erfahrung dürfte so ziemlich jeder bereits gemacht haben und diese Erkenntnis lässt sich zweifelsfrei in vielerlei Hinsicht auch auf das Musikbusiness übertragen. So müsste beispielsweise der britischen Art Rock Band ANATHEMA schon längst die gleiche Anerkennung zu Teil werden wie COLDPLAY oder U2, die inzwischen nur noch von ihrem Namen leben und ihre Glanzzeiten schon weit hinter sich haben. Gleiches gilt im Grunde genommen auch für die amerikanische Alternative Rock Band BLUE OCTOBER, die vermutlich einfach zu individuell und unangepasst ist, um in die gängigen Schubladen zu passen. Dass ich die zumindest in der Progressive Rock- und Metalszene sehr geachteten ANATHEMA hier erwähne, hat einen guten Grund, denn sie schaffen es analog zu BLUE OCTOBER nachdenkliche Songs mit Tiefgang mit einer stilistischen Offenheit zu paaren, die es heutzutage leider viel zu selten noch gibt. Die Musik von beiden Bands wird dadurch zu etwas ganz besonderem, und besonders ist auch vorliegendes Album „Songs From An Open Book".

Dass „Songs From An Open Book", angelegt an eine Textzeile aus dem Stück „The Answer" („if what you're seeing is an open book, that's great cause I'm an open book") nicht unter dem Namen BLUE OCTOBER erscheint, sondern „lediglich" unter dem Namen ihres Sängers, ist nachvollziehbar, denn es ist ein reines Akustikalbum von JUSTIN FURSTENFELD, dem Komponisten und Texter von BLUE OCTOBER; im übertragenen Sinne ein Tagebuch von ausgewählten Ereignissen zwischen den Jahren 1993 und 2013.

„Songs From An Open Book" ist dabei chronologisch aufgebaut, es beginnt mit zwei Songs vom Debütalbum „The Answers" und endet mit zwei Stücken vom letztjährigen BLUE OCTOBER Album „Sway". Das erste Soloalbum von JUSTIN FURSTENFELD ist damit seltsamerweise eigentlich genau umgekehrt konzipiert wie ein gutes Drama, denn die Intensität ist direkt am Anfang am höchsten und lässt dann mit laufender Spielzeit nach und findet zu guter Letzt mit „Not Broken Anymore" ein gutes Ende; so ähnlich wie im Märchen.

Dass JUSTIN FURSTENFELD bei der Auswahl der Songs für dieses spezielle Album solche ausgewählt hat, zu denen er eine besondere persönliche Beziehung hat und die sich auch alleine umsetzen lassen, liegt auf der Hand. Sachen wie „X Amount Of Words", „Italian Radio", „Sexual Powertrip (One Big Lie)", „Somebody", „HRSA" oder „James" hätten so nur eingeschränkt ihre volle Wirkung entfaltet, wobei mit „Angel", „Hate Me" oder „Calling You" durchaus auch Songs vertreten sind, die im Original vergleichsweise heavy sind. Wirft man einen kurzen Blick auf die Tracklist, dann erkennt man direkt, dass Justin grundsätzlich von allen BLUE OCTOBER Alben je zwei Songs berücksichtigt hat, grundsätzlich bedeutet aber auch, dass es eine Ausnahme gibt. Das 2008er Album „Approaching Normal" wurde komplett ignoriert, was sehr bedauerlich und eigentlich der einzige Schönheitsfehler von „Songs From An Open Book" ist. In eine Werkschau mit persönlichen BLUE OCTOBER Songs gehört verdammt noch mal auch „Weight Of The World" dazu und auch „Picking Up Pieces" hätte sich im Gesamtkonzept gut gemacht.

Wie bereits angedeutet findet man die wirklich heftigen Momente in der ersten halben Stunde, bereits „The Answers" hinterlässt mehr offene Fragen als es Antworten liefert und wer beim Hören von „Black Orchid" (leider ohne Violinensolo am Ende) keine Tränen in den Augen hat oder zumindest eine Gänsehaut bekommt, hat bezogen auf die Musikkunst ein Herz aus Stahl. Im weiteren Verlauf sind es dann vor allem noch „Schizophrenia" und „Chameleon Boy" die für die intensivsten Momente beim Lauschen sorgen, wobei ich nicht verschweigen darf, dass wirklich alle zwölf Songs auch in diesen Varianten wunderbar sind. Selbst „Calling You", eigentlich ein simples Liebeslied, funktioniert hier und man gewinnt als Hörer neue Erkenntnisse.

Unabhängig von der Musik ist ein sehr interessanter, wenn auch diskutabler, Aspekt an „Songs From An Open Book" dieser Hörbuchcharakter. Die einzelnen Songs werden immer wieder von, mal kürzeren, mal längeren, live aufgenommenen Spoken-Word-Parts unterbrochen, in denen JUSTIN FURSTENFELD die Hintergründe zu einigen der hier enthaltenen Stücken erzählt; zumeist auf eine sehr selbstironische Art und Weise, mit der ich nicht gerechnet hätte. Zählt man eins und eins zusammen, dann gibt es insgesamt sieben solcher Verbindungsteile. Ein Sonderfall stellt dabei „Any Man In America" dar, dessen Text JUSTIN FURSTENFELD unter Anwesenheit von Zuschauern rezitiert, die leider mit einigen unnötigen Zwischenrufen den Fluss stören. Oder wie sagte es PASSENGER so schön: „i hate ignorant folks, who pay money to see gigs and talk through every fucking song".

Dadurch dass die Songs aufs Wesentliche reduziert und nahezu live im Studio aufgenommen wurden, es gibt wirklich nur eine akustische Gitarre sowie den eindringlichen Gesang von JUSTIN FURSTENFELD, rücken die Themen und die Texte noch mehr in den Mittelpunkt. Die Musik von BLUE OCTOBER kann man als gute Rockmusik auch einfach nur so mögen, das geht hier nicht. „Songs From An Open Book" wird sich nur vollends entfalten können, wenn man sich intensiv mit dem Kontext beschäftigt, es ist vor diesem Hintergrund auch weit mehr als ein reines Singer/Songwriter Album.

Ich muss eingestehen, dass ich im Vorfeld von „Songs From An Open Book" ein wenig skeptisch war, ob es Sinn macht, Songs, die in ihrer Studiofassung eigentlich nahe an der Perfektion sind, auf diese Art und Weise aufzunehmen, vor allem auch weil das Livealbum „Ugly Side: An Acoustic Evening With Blue October" (2011) nur eingeschränkt die Magie der Band einfängt, aber bei „Songs From An Open Book" ist genau das Gegenteil der Fall. Es mag sein, dass JUSTIN FURSTENFELD im realen Leben seine dunklen Seiten und Zeiten hinter sich gelassen hat, er singt trotzdem noch über sie mit einer glaubhaften Leidenschaft, als würde er inmitten einer Lebenskrise stecken. Wie eingangs erwähnt ist „Songs From An Open Book" ein besonderes Album, das man nur in ganz besonderen Augenblicken hören sollte. (Maik)


Bewertung: 9,5 / 10

Anzahl der Songs: 19
Spielzeit: 69:00 min
Label: Membran
Veröffentlichungstermin: 12.09.2014

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