Incolors - The Unchained

incolors cover theunchained 200x200Die deutsche Band INCOLORS ist wahrhaftig eine Ausnahmeerscheinung auf dem aktuellen Musikmarkt. Mit dem Debüt-Album „The Unchained" wirft das junge, ambitionierte Musikprojekt ein ganz schönes Kaliber in den Ring des aktuellen progressiven Musikmarktes, das es dem geneigten Hörer nicht ganz einfach machen dürfte, es irgendwo einzuordnen. Nach eigener Aussage ist die Musik als Balanceakt zwischen anspruchsvollem Progressive Metal und Popmusik zu verstehen, weshalb die Band selbst das Ergebnis auch als „Prop Metal" bezeichnet – ob nun ernsthaft oder im Scherz vermag ich nicht zu beurteilen, aber das Konzept einer Mixtur aus Progressive und Pop geht durchaus auf.

„The Unchained" beginnt mit einem heftigen Grunzen und einem treibenden, hektischen Gitarrenriff, das sich schnell zu einer anspruchsvollen Melodie entwickelt, in die sich die klare Gesangsstimme des Sängers einmischt, der mit seinem variablen Organ zu wahren Höhenflügen fähig ist, aber auch zu heftigen Aggressionsattacken. Da schwingen ordentlich Prog, eine gehörige Portion Djent und ein Anteil Pop-Musik mit, die sich zu einem ziemlich einzigartigen Hörerlebnis vereinigen. Die ganze Mischung geht dermaßen unverschämt schnell ins Ohr, dass es eine wahre Freude ist – und absolut untypisch für technisch anspruchsvolle Musik, denn Eingängigkeit ist normalerweise kein klassisches Merkmal des Genres, das hier aber sowieso nicht klar definiert wird, sondern sämtliche Grenzen verschwimmen lässt. „Roses" beginnt mit einer wunderbaren Catchline, die direkt in einen stakkatoartigen Rhythmus übergeht, nur um im nächsten Moment von getragenen Piano-Klängen unterbrochen zu werden. Wunderbarer Ohrwurm und ein echter Hit! „Last Dance" entpuppt sich als eher ruhige Nummer, bei der die Pop-Anleihen etwas stärker zur Geltung kommen, ohne allerdings für den Massengeschmack runtergedummt zu werden.

Überhaupt kann man auf dem ganzen Album jederzeit immer wieder alle einzelnen Zutaten raushören, die Rhythmussektion von Bass und Drums ist jederzeit absolut tight und präzise und es entsteht ein unglaublich großartiger Klangteppich, in den man sich reinlegen möchte. Mit „Discolored" folgt als nächstes ein weiterer echter Hammer, der unfassbar viel Lust auf mehr macht und mit einem fantastischen Riff daherkommt, das einen schon fast in einen Trancezustand zu heben vermag. Dazu die teils gewisperten, teils wundervoll klar gesungenen und teils aggressiv gegrowlten Gesangslinien – absolut irre, was hier musikalisch für ein Brett gezimmert wird. Spätestens bei diesem Track dürften dem geneigten Hörer eventuell einige Bands einfallen, mit denen man INCOLORS vergleichen könnte, zumindest aber eine: mich jedenfalls erinnert das gesamte Werk ganz gewaltig an die brillanten Kanadier PROTEST THE HERO, vor allem wegen der stimmlichen Varianz des Sängers, der mich mit seiner enormen Bandbreite mehr als nur ein wenig an Rody Walker erinnert. Auch ansonsten sind Parallelen zu den Kanadiern zu erkennen – allerdings, und das sei ganz deutlich gesagt, ohne jemals die Eigenständigkeit aufzugeben. Es ist absolut unwahrscheinlich, dass man INCOLORS jemals mit einer anderen Band verwechseln wird, wenn sie ihrer Linie treu bleiben, die sie auf „The Unchained" eingeschlagen haben.

„Memento" beginnt mit einem charakteristischen Beat im Hintergrund und entpuppt sich als im Kern eher pessimistisch klingender, ruhigerer Song, der aber mit einem kraftvollen Chorus aufwarten kann. Im folgenden „Diamonds" zieht die Band erneut sämtliche musikalischen Register und haut dem Hörer ein technisches Kabinettstückchen nach dem anderen um die Ohren, vor allem die immer wieder eingestreuten, gegrowlten und geshouteten Parts, die leicht psychotisch anmuten, haben es in sich und verpassen dem Song einen ganz eigenen Stempel. Der folgende Titeltrack „The Unchained" brilliert mit fantastischen, jazzigen Parts, die dennoch niemals die Grenze zum nur noch schwer Hörbaren überschreiten. Auch „Oblivion" mit seinen abgehackten Gitarrenparts gelingt die Gratwanderung zwischen Technik und Eingängigkeit wunderbar. „Everything It Takes" zelebriert mit richtigen, klassischen Rockmomenten und wilden Gitarrenhexereien noch einmal so richtig alles, was auf dem Album insgesamt geboten wird. Schließlich lässt man dieses musikalische Gesamtkunstwerk mit „In The East" äußerst flott und sehr catchy ausklingen, wobei erneut akuter Hitverdacht besteht.

Zum Sound sei ebenfalls noch etwas gesagt: Die Platte klingt fantastisch! Hier waren absolute Profis am Werk, die ihr Handwerk verstehen. Die Drums wummern angemessen, die Gitarren klingen absolut sauber und krachend wo sie es sollten und der Gesang schwebt klar und vernehmlich über den Dingen, ohne abzuheben – kurz gesagt: die Mischung ist absolut perfekt, diese Platte klingt genauso, wie man es sich für diese Art Musik nur wünschen kann.
Nach sicher mehr als zwanzig Durchgängen hat es „The Unchained" geschafft, mich völlig zu begeistern und nicht ein einziges Mal zu langweilen. Auch nach dem zehnten und fünfzehnten Durchgang entdeckt man immer noch etwas Neues und ist ein ums andere Mal absolut geplättet von diesem musikalischen Juwel, das quasi aus dem Nichts gekommen ist. In einer Zeit, wo selbst die technisch anspruchsvollsten und innovativsten Bands zunehmend gewohnheitsmäßiger und nach „kenn ich schon" klingen, schaffen INCOLORS einen unglaublichen Spagat, der sie sicher auch über Genregrenzen hinaus tragen dürfte. Ich darf hier mit Fug und Recht behaupten, dass mir INCOLORS mit „The Unchained" das beste Debüt des Jahres vorgesetzt haben – ich bezweifle stark, dass dieses Jahr noch ein anderes Debütalbum erscheint, das derart beindruckend und stimmig ist. Meine Dame, meine Herren, ich ziehe meinen Hut vor Euch! (Dennis)


Bewertung: 9,5 / 10

Anzahl der Songs: 10
Spielzeit: 45:00 min
Label: Eigenproduktion
Veröffentlichungstermin: 01.06.2015

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