Blue October + Finn Nelé (13.11.2013, Mannheim)

live 20131113 01Blauer Oktober an einem grauen Novembertag, passt das zusammen? Ja das tut es, wenn auch mit leichten Schwierigkeiten; aber alles der Reihe nach. Nachdem die aktuelle Albumveröffentlichung „Sway" der amerikanischen „Bi-Polar-Art-Rock" Band BLUE OCTOBER musikalisch in eine etwas andere Richtung tendiert (Radiorock anstelle von Alternative/Prog Rock), durfte man gespannt sein, wie die neuen Songs live ankommen würden. Für mich selber war es nicht nur die BLUE OCTOBER Livepremiere, sondern auch das erste Konzert in der noch recht jungen Mannheimer Alten Seilerei, einer umgebauten ehemaligen Seilfabrik.

Hat man die kleine Eventhalle, die etwa 700 bis 800 Zuschauer fassen kann, auf dem großen Seilereiareal erst einmal gefunden, dann entpuppt sich die Alte Seilerei als Bereicherung für die Kulturszene im Rhein-Main-Neckarraum. Der Vorteil dieses mittelgroßen Clubs ist sicherlich, dass sich das gesamte Geschehen in einem einzigen Hauptraum abspielt, verglichen mit anderen Clubs der Republik fehlt der Alten Seilerei aber der gewisse Charme in seiner Ausstattung. Die Alte Seilerei gewinnt seine Individualität vielmehr durch seine historische Bedeutung sowie durch diese vier Eisenpfosten, die mitten im Club gen Decke ragen, einer davon steht in etwa Einmeterentfernung zentral direkt vor der Bühne; eine bauliche Meisterleistung, die man wohl oder übel so hinnehmen muss, wie sie ist.

Der Gig in Mannheim stand dabei aus zwei Gründen unter keinem guten Stern, erstens dürfte es mit geschätzten 250 Zuschauern die am schlechtesten besuchte Show der Deutschland Tour gewesen sein, die Konzerte in Berlin und Köln waren bereits im Vorfeld komplett ausverkauft (in deutlich kleineren Clubs wohlgemerkt), und zweitens mussten BLUE OCTOBER in Mannheim (und wie man hört einen Tag später auch in Frankfurt) krankheitsbedingt auf ihren hauptamtlichen Gitarristen CB Hudson verzichten.

Die gute Nachricht an dieser Stelle war für alle Anwesenden, dass BLUE OCTOBER auch als Quartett eine mitreißende Liveband sind, da Justin Furstenfeld eben ein solch klasse Frontmann ist, dass trotzdem noch genügend Energie von der Bühne runter- und rüberkommt. Denn auch wenn BLUE OCTOBER sich mit ihrer neuen CD „Sway" verstärkt der radioaffinen Musik zugewandt haben, ist das live immer noch Rockmusik und Rockmusik mit einer „halben" Gitarre, die Justin dann selber spielte, ist etwas schwierig. Bei manchen Songs gab es sogar gar keine Gitarre und diese Löcher konnten dann natürlich weder Matt Novesky am Bass noch Ryan Delahoussaye mit seiner Violine und den schwarzen und weißen Tasten stopfen.

FINN NELÉ
Aber bevor man sich darüber Gedanken machen musste, wie es werden wird BLUE OCTOBER nur zu viert zu sehen, durften und mussten die zu diesem Zeitpunkt noch recht spärlich anwesenden Zuschauer erst einmal einen mehr oder weniger unangekündigten Support in Form der One-Man-Show FINN NELÉ überstehen. Hinter diesem Künstlernamen verbirgt sich der Münchener Singer/Songwriter Florian Elsner, der sich sichtlich gefreut hat, „zum 1. Mal in Mannheim" zu sein und in der Alten Seilerei fünf oder sechs seiner Lieder zu präsentieren. Ich gebe gerne zu, dass es als Musiker zu den Königsdisziplinen gehört, ganz alleine auf einer Bühne nur mit einer Gitarre und seinem Gesang die Menschen mitzunehmen, FINN NELÉ hat das an diesem Abend nicht wirklich geschafft.
FINN NELÉ mag gerne mit einem gewissen Pete Doherty verglichen werden, weil auch er eine gewisse Dreckigkeit in seinen Songs hat, die sich irgendwo zwischen Blues, Folk und typischem Singer/Songwriterkram bewegen. Man muss sich natürlich nicht den Schädel blutig schlagen, um Aufmerksamkeit zu erzielen, aber der Gig von FINN NELÉ war gemessen daran dann doch zu zahm, die gespielten Songs wirkten austauschbar und auch in den Texten konnte ich keine besondere Erkenntnisse erkennen. Lediglich das letzte gespielte Lied („ein Stück zum Nachdenken") hatte so etwas wie einen Wiedererkennungswert, vielleicht gerade wegen seinem deutschen Text. Oder anders gesagt, wenn man immer noch unter dem Eindruck stand, was ein gewisser Mike Rosenberg aka PASSENGER drei Wochen vorher mit ähnlichen Mitteln (ein Mann, eine Gitarre und sonst nichts) mit Songs über das Leben für eine Stimmung entfachen konnte, dann hätte selbst ein junger BOB DYLAN Schwierigkeiten gehabt, mich zu begeistern.

live 20131113 02live 20131113 03

BLUE OCTOBER
Eigentlich konnte man davon ausgehen, dass BLUE OCTOBER direkt im Anschluss nach FINN NELÉ auf die Bühne kommen sollten, schließlich gab es so gut wie nichts umzubauen. Die Herrschaften aus Texas ließen aber ihre immer ungeduldiger werdenden Fans noch fast dreißig Minuten lange auf sich warten, untermalt von gar schrecklicher amerikanischer Rapmusik. Gegen neun Uhr hatten sich BLUE OCTOBER dann fertig gestylt und die Show startete mit dem Albumoutro „To Be" (Überraschung!) sowie dem Titelstück der neuen Platte „Sway". Dabei fiel direkt auf, dass nicht nur „Sway", sondern alle neuen Songs live nicht nur deutlich unperfekter im Sinne von roher gespielt wurden, sondern sie kamen beim etwas zähen Publikum ganz genauso gut an wie die älteren. Und ich muss zugeben, dass insbesondere die Halbballade „Fear" sowie das trancige „Debris" (wow!) live noch besser sind als auf der aktuellen Studioplatte, dessen roter Faden es ist, dass das „Leben schön ist"; eine etwas fragwürdige Erkenntnis, wenn man sich anschaut, mit welcher Leidenschaft Furstenfeld nach wie vor die Lieder seiner schweren Vergangenheit darbietet oder wenn man ihm einfach mal aus nächster Nähe in die Augen blickt.

Dass der „Chamäleon Junge" Justin Furstenfeld gerne sein äußeres Erscheinungsbild wandelt, das sticht einem direkt ins Auge, wenn man die aktuellen Promofotos mit den Livefotos vergleicht, aber der Auftritt hier war diesbezüglich etwas erschreckend bis verstörend. Mit dem langen Bart, den plakativen Tattoos an Hals und Händen und der Wollmütze auf dem Kopf sieht Justin zwischenzeitlich mehr nach einer Mischung aus Talibankrieger, Schwerverbrecher und Gangstarapper als nach einem gut gelaunten und glücklichen Familienvater aus und man fragt sich ernsthaft, ob es ihm wirklich besser geht oder wie textete Wolfgang Niedecken im BAP Klassiker „Do Kanns Zaubere" so schön: „dä Typ ess fäädisch".

Angekündigt wurde die aktuelle Tour als bunte Mischung zwischen neuen Songs von „Sway" und den Hits der früheren Studioalben und ganz genau das lieferten BLUE OCTOBER auch ab. Dabei machten sie nicht den Fehler, den viele andere machen, in der ersten Konzerthälfte das neue Material überzustrapazieren, sondern nach dem bereits erwähnten „Sway" kamen erst einmal einige ältere Stücke zum Zuge, mit manchen konnte man rechnen („Say It", „Calling You", „Into The Ocean"), manche waren eine echte Überraschung („HRSA", „James") und manche gar eine Sensation („Chameleon Boy"). Die gesamte Setlist findet ihr weiter unten, mit sechs Songs von „Sway", einem von „The Answers", zwei von „Consent To Treatment", zwei von „History For Sale", vier vom Top-Seller „Foiled", und je einem von „Approaching Normal" und „Any Man In America" muss man diese auf jeden Fall als ausgewogen bezeichnen. Dass nicht alle Zuschauer hiermit zu einhundertprozent zufrieden gestellt wurden, liegt auf der Hand und lässt sich bei sieben durchweg starken Studioalben sowieso nicht vermeiden.

live 20131113 04live 20131113 05

Was bleibt nun von diesem Abend hängen? Einerseits haben BLUE OCTOBER gezeigt, dass sie selbst unter schwierigen Bedingungen für reihenweise glückliche Gesichter sorgen können, die Spaßnummer „Italian Radio" tat am Ende ihr Übriges dazu, andere Bands hätten bei Krankheit eines Bandmitglieds den kompletten Gig gecancelt. Andererseits wird man das Gefühl nicht los, dass sich die Band aus Texas etwas unter Wert verkauft hat, weil 90 Minuten für eine amerikanische Band heutzutage bereits viel, aber in Anbetracht der unfassbaren Auswahl an grandiosen Stücken immer noch viel zu wenig sind, und weil die ganze Show etwas minimalistisch, deshalb aber umso kurzweiliger, wirkte. Es gab noch nicht einmal ein Backdrop, Justin hielt sich mit Ansagen vornehm zurück, obwohl dieser Kerl bestimmt genügend zu erzählen hat, und auch Solos oder andere Spielereien gab es keine. BLUE OCTOBER konzentrierten sich an diesem Mittwoch Abend ausschließlich darauf, ihre Songs mit einer gehörigen Portion Passion zu performen. Wie auch immer, sollten BLUE OCTOBER im nächsten Jahr erneut deutsche Clubs unsicher machen, dann werde nicht nur ich wieder dabei sein und hoffen, dass sie vielleicht „Weight Of The World", „The Answer", „Sexual Power Trip", „The End" oder „Black Orchid" spielen werden. (Maik)

Setlist:
Sway
She's My Ride Home
Say It
HRSA
James
Light You Up
Chameleon Boy
Calling You
Into The Ocean
Fear
Debris
X Amount Of Words
Bleed Out
Hate Me
The Worry List
Not Broken Anymore
Italian Radio

Wir benutzen Cookies
Für optimalen Benutzerservice auf dieser Webseite verwenden wir Cookies. Durch die Verwendung unserer Webseite erklären Sie sich mit der Verwendung von Cookies einverstanden