Campaign for Musical DestructionEs ist Sonntagnachmittag, es regnet mal mehr, mal weniger stark und die Stimmung ist wie das Wetter trüb und grau. Was kann man da schon groß machen außer sich ordentlich die Ohren durchpusten zu lassen? Also auf in die Saarbrücker Garage, um sich ein Grind- und Thrashgemetzel allererster Güte anzutun. NAPALM DEATH haben ihr Konzept der „Campaign For Musical Destruction“ nach 25 Jahren wiederbelebt und feiern dieses denkwürdige Ereignis von einst 1992 mit einem heißen Package. Kenner sehen auf den ersten Blick, dass bei diesem Line-Up ein Name sehr häufig erscheint: Shane Embury. Der Multiinstrumentalist und Grindoholic erscheint gleich bei dreien der vier angekündigten Bands. Abgesehen von seinen knapp 50 Lenzen ist es erstaunlich, dass man diese Knüppelorgie auch noch eine ganze Tour lang durchzieht. Sind wir also gespannt, wie dieser Marathon vonstatten geht.

ÜBERGANG
Zuerst ertönen 10 Minuten vor dem offiziellen Beginn die ersten Klänge des Openers, der wohl aufgrund der Namensgebung etwas untergegangen ist. ÜBERGANG aus Göttingen gibt es erst seit 2014, haben aber immerhin den Sprung auf diese Monstertour gepackt. In der Garage sieht es noch sehr karg aus; trotz Abtrennung des Innenbereichs tummelt sich kaum einer vor der Bühne. Die Leute von draußen werden aber auch nicht unbedingt reingelockt. Nicht gerade überzeugend ist die Darbietung der fünf jungen Herren, die weder optisch noch akustisch eine klare Linie fahren. Mal Hardcore, mal Punk, mal Grind, mal Metalcore, aber nie stimmig. Die deutschen Texte stellen da auch keinen Bonuspunkt da, und die Handvoll Leute sind nicht zu mehr als einem Höflichkeitsapplaus zu überzeugen. Dennoch scheint die Tour für ÜBERGANG gut gelaufen zu sein, und somit geht die Band dennoch frohen Mutes nach etwa 25 Minuten von der Bühne.

 

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LOCK UP
Das erste Highlight des Sets macht sich warm. Alle Augen sind auf die Performancekünstler auf der Bühne gerichtet, gerade auch über die Fronterqualitäten des altgedienten Neuzugangs Kevin Sharp, der die Nachfolge von Tomas Lindberg angetreten hat. Wie man später noch erfahren soll, ist hier, ähnlich wie in der harten New Orleans Szene, eine Art Bandinzucht im Gange, denn hier kennt jeder jeden, und das mehr als nur auf musikalische Art.

Kevin gesteht seine Liebe zu Shane Embury, dem Protagonisten dieses Abends, und versucht, stylish wie immer mit Lieblingshut und barfuß, in die ehrwürdigen Fußstapfen seines Vorgängers zu treten, was ihm auch im Laufe des Sets gut gelingt. Sharp ist beileibe kein Lindberg, aber die Energie und Überzeugung sowie die Liebe zum musikalischen Material lassen den Schweden gerne verschmerzen. Nick Barker an den Kesseln schmeißt selbige nahezu um in seinem Spieltrott, und es ist immer wieder mit einem breiten Lächeln zu bestaunen, wie dieser umfangreiche Kerl eine so souveräne Spielkraft an den Tag legt. Hut ab, Schluffen an und ab an den Merchstand.

 

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POWER TRIP
Die Jungs aus Dallas waren das eher unbeschriebene Blatt der Tour, die auch stilistisch etwas aus der Rolle fielen. Thrash der späten Achtziger Jahre standen auf ihrer Fahne, und auch dieser wurde freudig vom Publikum in Empfang genommen. Viel anzufeuern war da nicht, die Menge war trotz ihrer Überschaubarkeit sehr empfänglich für eifriges Feiern im Bier- und Thrashfieber. Staccatorhythmen, Floyd-Rose-Bomben und flitzeschnelle Soli kamen im Moshpit mindestens ebenso gut an wie das vorherige Hochleistungsgeknüppel, hier gab es keine Scheuklappen, sondern nur Bock auf harte Klänge.
Vielleicht müsste ich der Band einen weiteren Besuch abstatten, um mich derart dafür zu begeistern, aber ich für meinen Teil gebe mir da lieber die Originale der frühen SLAYER und dergleichen, auch wenn man diese live wohl kaum noch derart erleben wird. Die Stimmung allerdings zahlte sich für POWER TRIP bestens aus, und so konnte sich auch dieser Auftritt nach XX Minuten für einen weiteren positiven Verlauf dieses Abends verantwortlich zeigen.

 

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BRUJERIA
Ein weiterer Spannungsbogen zog sich auf, als die Umbaumaßnahmen für die Mischpoke der Mittelamerikaner dem Ende zugingen. Wer sind nun die Mitstreiter dieser gemischt amerikanischen Band namens BRUJERIA? Die Gerüchte gaben schon mehrere Namen preis, die sich allerdings nicht immer bewahrheiteten. Aber zumindest war Shane „Hongo“ Embury nun wieder dabei, frisch mit neuem Shirt, der obligatorischen Vermummung, aber trotz allem wieder am Bass statt an der Gitarre. Ok, ein Gitarrist weniger, aber diesen verbleibenden Mundschalträger entpuppte sich sogleich auch als niemand Geringeres als Andreas Reisenegger, der noch zuvor mit Shane bei LOCK UP glänzte. Jetzt fehlt nur noch Nick Barker am Schlagzeug...und da isser schon. Somit standen hier eigentlich LOCK UP mit dem mexikanischen Gesangsduo Juan Brujo und Fantasma auf der Bühne.
Der sägende Gitarrensound und die typischen Protestschreie zu wechselhaft schnellem Gehacke zeugten aber einwandfrei von BRUJERIA, die sowohl Songs des neuen Albums „Pocho Aztlan“ als auch alte Klassiker zum Besten gaben. Standesgemäß gab es zum aufständischen Demonstrantenlook auch noch den mexikanischen Begleiter namens Machete, der beim Schlusspunkt „Matando Guerros“ machtvoll geschwungen wurde. Man merkt, dass man diese provokanten Hymnen viel lieber auf Spanisch eingehämmert bekommt als auf Englisch, denn so bekommen sie erst die richtige provokative Note, auch wenn man weiß, dass hier großes Kino mit viel Satire und schwarzem Humor dargeboten wird.
Das Publikum war außer sich und feierte die Band wie kaum eine andere davor ab, und das zu Recht. Bevor endgültig Schicht war für die Hexerei, gab es noch eine kurze Mitsingnummer ihrer Maccarena-Version „Marihuana“, den Stoff, den sie sich auf der Bühne so vehement forderten. Aber der Forderung kam natürlich keiner nach, immerhin ist der öffentliche Konsum dieser Rauschware hierzulande immer noch eine Straftat...

 

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NAPALM DEATH
Und wenn man meint, es geht nicht besser, kommen NAPALM DEATH ins Spiel.
Mit neu gebasteltem Intro zündet die Truppe gleich mal wieder ein Grindfeuerwerk an. Gewohnt chaotisch und ultraruppig geht es direkt ans Eingemachte, Shane Embury im mittlerweile dritten T-Shirt merkt man nicht an, dass er nicht nur heute, sondern schon eine ganze Tour lang mehrfach täglich auf der Bühne stand und steht. Barney und der Rest sind bestens gelaunt, und als sich der Sound mal eingepegelt hat nach einigen Fatzen Raserei, ist es ein wahrer Genuss für Augen und Ohren. Letztere verwöhnt niemand Geringeres als die Produzentenlegende Simon Effemy, der schon mehrfach für Napalm Death unter anderem live an den Reglern saß und auch diesen Abend den Bands akustisch vom Feinsten bot.
Neben bekannten Klassikern standen auch Exoten auf der Setlist wie z.B. „Twist The Knife (Slowly)“ vom umstrittenen 1996er Album „Fear Emptiness Despair“, das eine weitere abwechslungsreiche Facette im sonst rüden Umfeld von NAPALM DEATH darstellte. Eine weitere Spickerei bestand in einem amtlichen Abriss mehr oder weniger bekannten Coversongs Marke NAPALM Style. Köstlich.
Ich weiß nicht, wie viele zig Male ich diese Combo schon live gesehen habe, und jedes Mal freut man sich zwar über einen neuen Gigtermin der englisch-amerikanischen Fusion, aber rechnet doch irgendwie mit der gewissen Routine. Allerdings beweisen NAPALM DEATH jeden Abend erneut, wie professionell und sensationell sie doch sind. Barneys Präsenz, seine grenzenlose Menschlichkeit und Freundlichkeit im Gegenlicht der ungestümen Grobmotorik und dem schier endlos genialen stimmlichen Organ kombinieren sich harmonisch mit der tighten und passionierten Hingabe seiner Mitstreiter. Gitarrist Nero wird immer mehr Mitglied als nur Ersatz für Mitch Harris in der NAPALM-Familie und hat sich mittlerweile einen beachtlichen Batzen des mehrschichtigen Songkatalogs draufgepackt. Stimmlich unterstützt er Barney auch noch zusammen mit Shane, wenn‘s gerade passt und sorgt damit ebenso mit dem mordsbrutalen Sound für eine Perfektion des Infernos.
Außer Grinsen und grenzenlose Begeisterung bleibt da nicht mehr viel übrig, weder bei mir noch bei den Fans, die sich wirklich alle Mühe geben, den Vierer gebührend zu feiern. Stets mit höflichen und humorvollen Ansagen, teils auf deutsch, aber auch immer wieder sehr kritisch und aufklärend, kündigt das Sprachrohr der Band regelmäßig die Message der Band an, und diese ist beispiellos edel. Wenn es doch nur mal ein Abbild solchen Edelmuts und derartiger Humanität in der Politik gäbe.
Und so haben die Grindkönige wieder mal ihren Auftrag erfüllt, die Welt und ihre Bewohner ein klein wenig besser zu machen. Außenstehende mögen kopfschüttelnd diesen oberflächlich gesehenen Krach vehement ablehnen, aber blickt man mal etwas genauer unter dieses Stilmittel, entdeckt man einen durchaus förderwürdigen Ansatz. NAPALM DEATH stellen nicht nur für mich die Speerspitze des Grindcore dar, und jeder, der bereit ist, auch eine vielleicht weniger bevorzugte Gangart anzutesten, dem sei diese Band nach wie vor wärmstens ans Herz gelegt. Wie mein Kollege schon sagte – dieser Auftritt war nicht einfach nur ein Konzert, das war eine Abreibung!


Schade nur, dass gerade im fortgeschrittenen Alter der Besucher ein solcher Marathon im Festivalstil zwangsläufig Ermüdungserscheinungen mit sich bringt. Nach fünf Stunden Geholze sind diese auch durchaus legitim, dennoch geht man letzten Endes beeindruckt und mit einem wohlig-guten Gefühl nach Hause und zelebriert gedanklich noch einmal dieses Ereignis. Das Motto dieser Kampagne hat dabei seinem Namen wirklich alle Ehre gemacht. (Jochen)

 

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(Fotos: Andreas)

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