Porcupine Tree - The Incident

porcupine_tree_-_the_incident_artwork.jpgOb Steven Wilson jemals davon geträumt hat, solch ein relevanter KünstleMehrfach-Wertung der Redaktionr zu sein, als er vor 18 Jahren in Eigenregie aus alten Demosongs das Debüt von PORCUPINE TREE zusammenstellte? Die Geschichte liest sich jedenfalls schon verwunderlich, erst auf dem legendären dritten Album „The Sky moves sideways“ wurde man zu einer richtigen Band. Heute, acht Alben und einige stilistische Metamorphosen später ist der Mann zu der Führungsfigur des New Artrock geworden.
Dazu verdingt er sich in diversen Projekten wie No-Man, hat zu Beginn des Jahres sein Solodebüt heraus gebracht und zählt zu den gefragtesten Produzenten der Szene. Nun liegt der Focus bei allen Mitgliedern wieder auf ihrem Hauptbetätigungsfeld, mit „The Incident“ hat man ein neues Langeisen am Start, mit dem der Ruf noch ausgebaut werden soll. Dabei darf man bei der nie stillstehenden Kreativmaschine durchaus gespannt sein in welche Richtung man sich dieses Mal bewegt. 

Nach den sehr ausladenden Artrock-Werken der Frühphase komponierte man auf „Stupid Dream“ songdienlicher, um sich mit „In Absentia“ Metal-Einflüssen zu öffnen. Doch schon der letzte Dreher „Fear Of A Blank Planet“ war ein kleiner Schritt weg davon, mit mehr sphärischen Keyboards. Wer nun glaubt zu wissen wohin der Sound nun geht, kennt diese Truppe und ihren Kopf ganz sicher nicht gut.
Schon alleine die Tatsache, dass man wieder auf das Gesamtkunstwerk als auf einzelne Songs schielt ist bemerkenswert. Der 55-minütige Titelsong bildet das Herzstück, ein Zyklus aus vierzehn ineinander verwobenen Liedern, teils nur kurze Instrumentals, teils Longtracks. Dazu gibt es auf der zweiten CD vier weitere Stücke, die nicht in dieses Schema, stilistisch aber auf „The Incident“ passen.

Gleich die ersten Töne machen die neue Marschroute deutlich, schwere, düstere, leicht industrielle Riffs krachen herein, bevor die Härte immer mehr zusammenfällt und auch nicht gerade erhellender Elektronik weicht. Dieses Wechselspiel wird im Verlauf des gesamten Albums immer wieder auf das ärgste strapaziert. Nun ist das nichts aufregend Neues im Prog-Kosmos, doch PORCUPINE TREE klingen dabei dissonanter als je zuvor.
Es herrschen nicht mehr diese dichten, warmen harmonischen Klangfarben des Vorgängers vor, hier wirkt alles reduzierter auf die einzelnen Instrumente fokussiert. Dadurch erscheinen die ruhigen Passagen noch zerbrechlicher, die metallischen Versatzstücke roher wie bisher.
Alles tönt verfremdeter, verzerrter, die Studiotechnik wurde zu einem weiteren Instrument. Dadurch kommt der Hörer weniger zur Ruhe, in „The Blind House“ oder dem an OPETH erinnernden „Octane Twisted“ krachen die Akkorde immer wieder urplötzlich in die Melancholie, erschrecken einen fast. Einzig das ruhige, den Zyklus abschließende „I Drive The Hearse“ hält die ruhige Stimmung bei, während selbst bei kleinen Intermezzi wie „Great Expectations“ das Tempo mehrfach variiert.

Dazwischen hat man mit beispielsweise „The Unpleasant Family“ kleine Perlen, die auf „Lightbulb Sun“ gepasst hätten eingefügt. Diese konkurrieren mit schwerfälligen Riff-Stürmen wie „Circle Of Maniacs“.
Dazu experimentiert man verstärkt mit elektronischen Elementen, die wie im Titelabschnitt oder „Bonnie The Cat“, die gar den Bogen zu NINE INCH NAILS oder Drum´n´Bass-Acts spannen. Hier knarzt es an allen Ecken und Enden, während die Atmosphäre sehr bedrohlich wirkt.
Überraschen kann auch „Drawing The Line“, dessen fast emo-mässiger Chorus von Wilson in ungewohnt nasaler Singweise vorgetragen wird. Die aus dem Glockenspiel der Strophe hervorbrechenden flächigen Gitarren setzen dem Ganzen die Krone auf.

Unbestrittenes Highlight ist sicher das fast zwölfminütige „Time Flies“, in dem der Mastermind über seine Entscheidung zum Profimusiker sinniert. Seine Geburt 1967 war da für ihn so etwas wie eine Berufung, überhaupt handeln alle Songs von Ereignissen, die das Leben verändern. Der akustische Beginn mündet in einen süßlichen, wenig aufdringlichen Refrain, dann kommen wieder diese herrlichen Breitwandgitarren zum Zuge. Im Mittelteil scheint das Stück fast stillzustehen, wird nur von schweren Bässen, die so sonst nur Roger Waters hinbekommt am Leben erhalten, um zu einem flirrenden Soloexkurs zu gelangen.

Es ist faszinierend wie man nach einer solch langen Karriere immer noch derart mutige Alben erschaffen kann. Gut, auf der letzten EP hat Wilson schon den reduzierten Sound angedeutet, aber man muss bedenken, dass dies alles Kompositionen aus den „Fear Of The Blank Planet“-Sessions waren, die dort als unpassend empfunden wurden. Insofern hat er sich also selbst vorweg genommen, was zeigt wie weit er der gesamten Szene immer noch voraus ist. Es regiert die Lust am Erschaffen von neuen Klangmöglichkeiten, was diese Formation so einzigartig macht. Ein Album, dass so keiner erwartet hätte und das genau deswegen so wertvoll ist. (Pfälzer)

Bewertung: 8,5 / 10

Anzahl der Songs: 5 (18)
Spielzeit: 77:08 min
Label: Roadrunner Records Veröffentlichungstermin: 11.09.2009

Wertung der Redaktion
David Mika Holger Maik Brix Bernie Seb
8,5 7 8,5 9 7,5 7 7,5
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