threshold-hypotheticalWiederveröffentlichungen sind ja ein eher zweischneidiges Schwert, aber in manchen Fällen machen sie Sinn, vor allem wenn die regulären Kopien ausverkauft sind. Gerade bei THRESHOLD sollte es noch viel mehr Leute geben, die sich diese Scheiben zu Gemüte führen sollten. Denn der ganz große Erfolg war ihnen trotz überragender Alben nie vergönnt. Das lag zum Einen an der ständig vakanten Sänger-Position in der Frühphase, erst 1998 kam hier Ruhe herein. Mit Andrew McDermott nahm man mehrere großartige Werke auf, konnte die Wende aber ebenso wenig schaffen wie mit dem Deal mit Nuclear Blast. Kurz nach "Dead Reckoning stieg "Mac" aus, und ist leider vor zwei Jahren verstorben. Nach langer Albumpause veröffentlichte man im August endlich "March Of Progress" mit Altsänger Damian Wilson. Da diese Platte das Interesse an der Band wieder ein wenig anregt, hat ihr neues Label beschlossen den Backkatalog wieder neu aufzulegen. Vor allem "Hypothetical"  liegt mir besonders am Herzen, so dass ich hier näher darauf eingehen will.

Es war 2002, als ich die Scheibe das erste Mal entdeckte, der Nachfolger "Critical Mass" war bereits auf dem Markt. Die damals boomende Powermetal-Welle brachte nicht mehr viel Aufregendes, und so suchte ich mein Heil in der gerade wieder aufkommenden Progressive-Szene. Eine der Bands, die auf meinen Wunschzettel ganz weit oben standen waren die Briten, und als ich die Originalausgabe dieser Scheibe für einen Zehner in einem bekannten Elektro-Großmarkt entdeckte, schlug ich zu. Ich weiß noch ganz genau, als ich die CD das erste Mal in den Player schob.

Aus einer Geräuschkulisse schält sich immer mehr ein Keyboard-Thema heraus, welches in breite, von der Gitarre unterstützte Flächen mündet. Diese steigern sich weiter und werden von Drum-Breaks durchfurcht. Beide Grundmelodien tragen anschließend die Strophe und die akzentuiertere Bridge, was vom Aufbau ein wenig an DREAM THEATER-Hits erinnert. Doch wo jeder einen hymnischen Refrain erwartet, schlagen THRESHOLD ganz andere Töne an, was einem die Kinnlade nur so auf sechs Uhr schlägt.
Ein traumhaft weicher, süßlicher Chorus, von Akustikgitarren begleitet taucht auf, und hinterlässt ob dieser Wendung den Hörer fassungslos. Der Spannungsbogen wird noch weiter gesteigert, da die zweite Bridge fordernder ausfällt und direkt in eine dieser genialen Soloparts übergeht. Keine Ego-Trips, trotz durchaus vorhandener handwerklicher Klasse. Vielmehr wird das Spiel dem Song angepasst und die Melodieführung nie außer Acht gelassen, seit jeher typisch für THRESHOLD. Die sechs Saiten von Karl Groom und Nick Midson ergänzen sich perfekt mit den Tönen, die Richard West aus seinen Tasten hervor zaubert.

Psychedelisch anmutende Synthesizer-Schwaden begleiten einen anschließend in "Turn On, Tune In, Drop Out", bevor das Hippie-LSD-Motto hymnisch vorgetragen wird. Ein meisterhaftes Beispiel für den mehrstimmigen Gesang, den der Sechser wie keine andere Band ihrer Zunft beherrscht. Die flirrenden Soli von West passen sich der Stimmung des Songs ideal an. Düster wird es beim folgenden "The Ravages Of Time", bei dem sich die schwere Strophe mit schnellen DoubleBass-Parts abwechselt. Doch der Strophe folgt auch beim zweiten Mal kein Refrain, sondern ebenfalls schwermütige Keyboard-Schwaden, die einen völlig neuen Song einleiten. Die beklemmende Atmosphäre steigert sich bis zum mächtigen Chorus, so werden Longtracks geschrieben.

Ruhigere Töne schlägt man mit dem sehr sanften, reduzierten "Keep My Head" und der Powerballade "Sheltering Sky" an. Auch hier ist der Anfang sehr zurückhaltend arrangiert, kann aber durch das feine Zusammenspiel der wenigen Töne ungemein fesseln. Im weiteren Verlauf bauen sich die Spannungsbogen weiter auf, während McDermott bei den getragenen Melodien sein großartiges Gespür dafür beweist. Während bei vielen Progmetal-Bands der Frontmann eher im hohen Bereich mit viel Kopfstimme agiert, bringt der Mann hier durch seine klassische, leicht rauchige Rockstimme die ganz besondere Note ins Spiel.
Doch nicht nur die sorgt dafür, dass die Songs nicht so kopflastig rüber kommen und eingängiger ausfallen, als bei ähnlichen Formationen. Denn da sind noch diese wunderschönen, an den Neo-Prog angelehnten Lead-Fills, auch ein wichtiger Baustein in der Formel dieser Truppe. Nie waren sie inspirierter, wärmer und gefühlvoller wie auf dieser Scheibe, gerade bei "Sheltering Sky" sind sie zum Niederknien. Absolute Klasse, was Groom und Midson hier liefern, und falls ich mich wiederhole, sie bringen den Liedern dadurch noch zusätzliche Facetten, anstatt ihren Fluss zu stören.

Wem das zu wenig Metal ist, der höre die beiden folgenden Titel, bei denen THRESHOLD ihre Thrash-Wurzeln offen legen. Das düstere "Oceanbound" steigt nach dem Intro mit einem Basslauf in ein schönes Hacke-Riff ein, bevor zuerst wieder ein wenig das Tempo heraus genommen wird, dann zurück kommt, um hymnisch zu explodieren. Der ruhige Mittelpart bietet ebenfalls wieder tolle Vokal-Arrangements, bevor die Riffs sich immer stärker ins Soli hinein schieben und perfekt zum Ausgangspunkt überleiten.
Piano-Tupfer leiten "Long Way Home" ein, bevor wieder die Staccatos regieren und mächtig nach vorne ballern. Im Chorus ist das perlende Piano wieder da und sorgt für fantastische Harmonien, welche die Melodie beflügeln. Die ist so ideal geführt, dass sie am Ende ein wenig die Dynamik verliert, damit sich daraus direkt die zweite Strophe nach vorne pirschen kann. Ein Effekt, den man später bei "Ground Control" wiederholte. Zum Abschluss der Scheibe machen die Herren mit dem bombastischen "Narcissus" da weiter wo zur Zeit des Originalrelease SAVATAGE aufgehört hatten.

Mehr als ein Kleinod, ein Meisterwerk, das alles überstrahlt, der Fels auf dem Cover formt sich durch diese Musik zu einem scheinenden Monolithen. Das ist ganz große Kunst, was die Briten hier bieten, wenn es einigermaßen gerecht zugehen würde, müsste die Neuauflage mittlerweile schon vergriffen sein. Die Kompositionen sind unglaublich reif angelegt, ohne auch nur eine Spur Power vermissen zu lassen. Die Übergänge zwischen den einzelnen Parts der vielschichtigen Songs sind so schlüssig, selbst bei den größten Überraschungsmomenten fließt alles ineinander.
Dazu wurden viele kleine Details eingebaut, die einen immer wieder Neues entdecken lassen. Perfekt geschliffen wurde "Hypothetical" wie immer in den Thin Ice-Studios, das Karl Groom mit Clive Nolan betreibt. Jener warme, zugängliche Klang wird nirgends besser in Szene gesetzt wie in der Prog-Schmiede im englischen Surrey.  Keine andere Band klingt wie sie, keine andere vereint so geschickt höchsten Anspruch und Songdienlichkeit. Und nie waren sie besser als auf dem Werk von 2001.

Abgerundet wird das ganze von drei Live-Versionen, die ein wenig flotter gezockt werden, als auf dem Album, vom Standard aber nicht an die Live-Scheibe "Critical Energy" heran reichen. Das ist egal, es zählen nur diese acht Songs, die jeder besitzen sollte. Wo sich andere zwischen "Images And Words" und "Scenes From A Memory", "Awaken The Guardian" und "Perfect Symetry" oder "The Warning" und "Operation:Mindcrime" streiten, ist das für mich das beste Progressive-Metal-Album überhaupt. Mehr noch, seit dem Umbruchsherbst 1991 hat die Metalwelt keine solche Größe mehr erfahren dürfen. Bleibt abzusehen, wer "Hypothetical" in dem Jahrhundert schlagen will. Re-Relaeses bekommen leider keine Note, aber angesichts dieser Pracht werde ich diese wohl nie vergeben können, da dem nichts gerecht wird! (Pfälzer)


Bewertung: - / -

Anzahl der Songs: 11
Spielzeit: 77:38 min
Label: Nuclear Blast
Veröffentlichungstermin: 16.11.2012

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