anathema theoptimistnb mehrfachwertungNach 20 Jahren als leidenschaftlicher Musikhörer kommt es ehrlich gesagt nicht mehr allzu oft vor, dass man sich bereits frühzeitig auf eine neue Veröffentlichung freut. Das neue Album von KARI RUESLATTEN wird beispielsweise so ein Fall sein, Standards wie ACCEPT, RAGE oder ICED EARTH nimmt man da mehr so mit, wenn sie halt da sind, bei einer Band wie ANATHEMA sieht die Sache dann schon wieder anders aus. Dem aktuellen Studioalbum „The Optimist“ habe ich mit einer Mischung aus Vorfreude und Angst entgegengefiebert, Freude weil es nur wenige Bands gibt, die mich so sehr geprägt und die mich so sehr fasziniert haben wie dieses britische Kollektiv, Angst insofern, dass man bei ANATHEMA vorher nie so ganz genau weiß, was man denn tatsächlich auch bekommt, denn die Band hat es über inzwischen zwei Dekaden geschafft in gleich mehreren Stilen eigene Akzente zu setzen und Stillstand scheint für die beiden Cavanaugh Brüder tatsächlich Rückschritt zu bedeuten.

Und ganz unter uns, bei einer Band, die als prägendes Stilmerkmal eine fast durchgängig vorhandene Melancholie besitzt, ganz egal ob sie nun Death Metal, Doom Metal, Art Rock oder Brit Pop macht, wirkt ein Albumtitel wie „The Optimist“ Angst einflößend. Denn wenn ich eines nicht will, dann sind es positiv gestimmte Songs von ANATHEMA.
Nach inzwischen drei Monaten, in denen ich „The Optimist“ sehr häufig in seinen verschiedenen Variationen gehört habe (dazu später mehr), kann ich sagen, dass man vor dem neuen ANATHEMA Album keine Angst haben muss, denn „The Optimist“ scheint so etwas wie der nächste logische Schritt für diese Band zu sein. Man sollte aber gleichwohl als Hörer und Fan eine nötige Portion Respekt mitbringen, denn das Album „The Optimist“ ist speziell, es ist alles andere als leicht zu handhabende Musik und es hat durchaus einen Grund, warum dieser Text erst jetzt erscheint und nicht bereits vor acht oder zehn Wochen erschienen ist. Um Musik adäquat und eben mit dem nötigen Respekt vor dem Künstler, der sie erschaffen hat, zu beurteilen, muss man sich eben ab und zu Zeit nehmen, man muss Musik auf sich selber wirken lassen, da ist es dann nicht mit getan, ein paar Mal hören und dann schnell ein Fazit ziehen.

Steigen wir in „The Optimist“ ein, dann lässt sich das Album wunderbar in drei Teile einteilen, was die Band auch schon selber so übernommen hat. Die ersten vier Songs gehören zusammen, dann die Songs fünf, sechs, sieben und acht sowie dann abschließend die letzten drei, macht insgesamt elf Stücke mit einer Spielzeit von etwa 58 Minuten.
Um es vorweg zu nehmen, der Mittelteil von „The Optimist“ ist sicherlich der schwierigste dieser drei Teile, denn dort präsentieren uns ANATHEMA keine Songs im herkömmlichen Sinne, sondern überwiegend instrumental oder maximal minimalistisch gesanglich gehaltene Soundexperimente, manches davon funktioniert besser („Springfield“ – mit seiner Kerntextzeile „How Did I Get Here, I Don’t Belong Here“), manches etwas schlechter, wie das Instrumental „San Francisco“, das trotz seiner schönen Pianomelodie ähnlich gleichförmig wirkt wie beispielsweise „Closer“ vom „A Natural Disaster“ Album, nur noch deutlich mehr elektronisch geprägt.

Der beste Teil von „The Optimist“ ist für den normalen Musikhörer sicherlich gleich der erste, denn die ersten drei richtigen Songs „Leaving It Behind“, „Endless Ways“ und „The Optimist“ sind für sich genommen alle ganz großartig, das einleitende Intro mit dem kryptischen Titel „32.63N 117.14W“ kann man hingegen ignorieren, kein Vergleich mit „Shroud Of False“ vom „Alternative 4“ Album.
Damit ist „Leaving It Behind“ das eigentlich eröffnende Stück, das sich schnell als der größte potentielle Hit seit „Fragile Dreams“ herauskristallisiert. Diese Nummer verknüpft die neueren ANATHEMA (Experimente, elektronische Spielereien) mit den mittleren ANATHEMA (gutes Songwriting, toller Refrain), Fans der alten ANATHEMA werden logischerweise auch mit „The Optimist“ überhaupt nicht bedient, macht auch nichts.
Gleich bei diesem Song wird einem dann auch bewusst, dass „The Optimist“ richtig gut produziert worden ist, der Sound gefällt besser als auf dem Vorgänger „Distant Satellites“, insbesondere der Schlagzeugsound ist klasse, das hatte ich so gar nicht erwartet. Ist das rockige „Leaving It Behind“ noch eine reine Cavanaugh Nummer, bekommt Lee Douglas beim folgenden „Endless Way“ ihren ersten Soloauftritt und man kann es drehen und wenden und wieder drehen, diese unterbewertete Sängerin, die meistens schüchtern im Hintergrund bleibt, ist das, was ANATHEMA in andere Ebenen lenkt.

Lee Douglas macht ANATHEMA noch mehr zu einer außergewöhnlichen Band, ihre gesangliche Teilhabe und Teilnahme führt letztlich dazu, dass „The Optimist“ nicht nur ein solides, sondern ein bemerkenswertes Album geworden ist. Das scheint die Band auch selber erkannt zu haben, denn Lee Douglas übernimmt inzwischen fast die Hälfte aller Vocals und das ist auch gut so, denn man gar nicht genug von ihr bekommen.
Ihren zweiten großen Soloauftritt bekommt Lee Douglas dann im letzten Albumdrittel bei „Close Your Eyes“, welches tatsächlich eine Nummer ist, bei der man dem Aufruf folgen kann, die Augen zu schließen und einfach nur die Musik zu genießen. „Close Your Eyes“ ist dabei ein eher untypisches ANATHEMA Stück, es beginnt als vom Piano geleitete Ballade, macht dann aber einen Schlenker in Richtung Jazz oder Loungemusik, schwer zu beschreiben und ganz seltsam, aber ein tolles Stück, neben dem Titelstück das Highlight des Albums. Auch bei den Songs „Springfield“ und „Ghosts“ (auch ein Teil des mittleren Drittels) ist die Sängerin stark präsent, aber das sind wie gesagt eher Klangexperimente.

Da ich das Titelstück „The Optimist“ bereits genannt habe, das sollte der Song des Albums sein, der am ehesten mehrheitsfähig ist, bei diesem Stück passt von vorne bis hinten alles, da freue ich mich bereits darauf, es live zu hören, andere Sachen wie „Wildfires“ oder „Can’t Let Go“, welche diese typische ANATHEMA Monotonie haben, nicht unbedingt langweilig, aber doch sehr eigenartig, werden live voraussichtlich nicht ganz so gut funktionieren.

In diesem Zusammenhang muss ich dann auch nochmals ausführlicher auf den Sound von „The Optimist“ eingehen. Wie gesagt, das Album wurde von der Band zusammen mit Tony Doogan in Glasgow aufgenommen und offeriert dem Hörer einen sehr angenehmen Sound, der sowohl einen natürlichen Klang besitzt, aber auch diese ganzen elektronischen Sachen ins rechte Licht rückt. Um das zu verdeutlichen, kann man sagen, dass ANATHEMA bei den nächsten Konzerten etwa zehn Keyboards benötigen werden, um das alles auf die Bühne bringen zu können, auf der anderen Seite wird dann aber locker eine einzige Gitarre ausreichen. „The Optimist“ hat durchaus auch rockige Parts, zum Beispiel in „Wildfires“, diese werden aber nur sehr dezent als Stilmittel eingesetzt.
Worauf ich aber eigentlich hinaus möchte, ist folgendes. Es ist bei einem Album wie „The Optimist“ kaum möglich, „den Sound“ zu beurteilen, denn ich habe das Album inzwischen in so vielen verschiedenen Varianten gehört, als Onlinestream, als downloadbare ipod-Variante, als CD und dann auch mit einem 5.1 Mix auf der dem Album beiliegenden Bonus-DVD und da kann ich nur sagen, letzterer stellt einfach alles in den Schatten, so muss Musik klingen, die begeistern kann.
Da sind plötzlich Dinge zu hören, die auf der CD nicht zu hören sind, das Album, insbesondere die Gesänge sowie das Schlagzeug, entwickelt in dieser Form eine Dynamik und eine Tiefe, da fragt man sich dann wirklich, warum nur so wenige Bands, das anbieten und nutzen.

Um das zu verstehen, sollte man sich einfach einmal den fulminanten, fast schon epischen Albumabschluss „Back To The Start“ in diesem Mix reinziehen, ganz großes Kino sagt man dazu gemeinhin. Dieses „Back To The Start“ ist übrigens nur auf dem Papier ein Longtrack, nach dem Song haben ANATHEMA noch eine ganze Menge an Stille aufs Album gepackt, bis dann irgendwann eine Akustikgitarre erklingt und ein Kind beginnt zu singen oder zu sprechen oder zu jammern, ich habe keine Ahnung, was das soll, mit solchen Aktionen wie Hidden-Tracks und ähnlichem Schwachsinn kann man als Band auch viel an Atmosphäre kaputt machen. Schließlich ist so ein Album immer auch so eine Art Gesamtkunstwerk.

Wenn ich versuche, dieses in der Tat diskutable Album nun irgendwie zusammenzufassen, dann muss ich zugeben, dass hier je nach Variante, je nach Tagesform und je nach Erwartungshaltung locker Bewertungen zwischen 5 und 9,5 Punkten möglich sind. Ich bin zum Beispiel gerne bereit, diesem DVD-Mix eben jene 9,5 Punkte zu geben, denn bei diesem hinterlassen sogar die etwas langatmigeren und eintönigen Songs des Mittelteils einen durchweg positiven Eindruck. Wenn ich als Vergleichsmaßstab nun diesem „The Optimist“ Album Meisterwerke wie „Eternity“, „Alternative 4“ oder aus der jüngeren Vergangenheit „Weather Systhems“ entgegenstelle, dann kann ich durchaus verstehen, sollte es Menschen geben, die dieses Album als Enttäuschung ansehen, denn der experimentelle Charakter ist auf „The Optimist“ nochmals größer geworden. Auf der anderen Seite ist es nicht gerade das, was die Musikszene spannend macht und am Leben hält, dass es Bands gibt, die nicht immer nur mit dem Strom schwimmen? Realistisch betrachtet ist „The Optimist“ eine gute 8 von 10 und in meinem Falle am Endes des Jahres mit gewisser Wahrscheinlichkeit das am häufigsten gehörte Album. (Maik)


Anzahl der Songs: 11
Spielzeit: 58:21 min
Label: KScope
Veröffentlichungstermin: 09.06.2017

Bewertung:

Maik 20168,0 8 / 10


Andreas 6,5 6,5 / 10

Dennis7,5 7,5 / 10

Anne7,0 7 / 10

Pascal8,0 8 / 10

Alex2 7,07 / 10

Pfaelzer7,0 7 / 10

Karin 6,06 / 10


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