pinkfloyd theendlessriverMehrfach-Wertungder RedaktionIrgendwann ist jedes Menschen Arbeit getan und er bekommt Besuch vom netten, älteren Herren mit der Kapuze und Sense. Dann ist es Zeit, um sich des Lebens zu erinnern und zu überlegen, was es zu bereuen gibt. Bis zu jenem Tag wird mir auf der Seele liegen, dass ich PINK FLOYD niemals live gesehen habe. Im Vorfeld des Konzertes am Hockenheimring eher klamm waren mir die einhundert Mark zu viel, heute ein schlechter Scherz. Mit meiner Einschätzung, dass sie bald wiederkommen würden, lag ich dann so falsch wie nie.
Als vor wenigen Wochen sensationell ein neues Studiowerk der Art Rock-Götter angekündigt wurde, keimte noch einmal Hoffnung auf. Doch schnell ruderten die zwei verbleibenden Mitglieder David Gilmour und Nick Mason zurück. Es seien nur Überbleibsel der „The Division Bell"-Session, quasi das seinerzeit verloren gegangene zweite Album. Dann sickerte durch, dass die Einspielung fast komplett instrumental gehalten wurde, was für noch mehr Fragen sorgte. Eigentlich hatten sie sich doch mit ihrer 94er Großtat einen würdigen Abgang verschafft. Warum nun „The Endless River"? Warum gerade jetzt? Was für einen Sinn macht das?

Es ginge den beiden nur darum ihrem Keyboarder Richard Wright die letzte Ehre zu erweisen. Sein Tod 2008 wehte den letzten Funken aus, der von einer Reunion träumen ließ. Dabei waren die Fans nach dem Auftritt beim Live Aid-Spektakel 2005 noch guter Hoffnung. Doch schon die Proben dafür zeigten, dass die Gräben zwischen Gilmour und dem früheren Bassisten Roger Waters zu tief gingen und unüberwindlich waren. Gerade er war es, der Wrights Anteil an der Band immer herunter gespielt hatte.
Und in der Tat stand der ruhige Tastenmann immer im Schatten der Frontfiguren Gilmour und Waters. Hört man aber genau hin, dann erkennt man wie wichtig sein Spiel war. Vielleicht landete nicht alles, was auf seinen Input hinwies auf Platte, was man beim „The Complete Zabriskie Point Sessions"-Bootleg sehr gut nachvollziehen kann. Nun arbeiteten die beiden übrigen Bandkollegen ein Album aus, bei welchem er federführend war, dass seine Arbeit in den Vordergrund stellt.

Ganz langsam aus dem Nichts tauchen seine Töne auf, bedächtig, meist sehr weit ausholend, während sich David Gilmour noch mehr zurück nimmt und seine Leads fast nur unterschwellig zu vernehmen sind. Sie haben es nicht eilig, um auf den Punkt zu kommen, sie haben ein ganzes Album lang Zeit. Bei „What We Do" kommen auch die Moogsynthesizer und die Orgel ins Spiel, Richard Wright schichtet mehrere Flächen übereinander und erzeugt damit eine berührende Spannung, die einem das Wasser in die Augen treibt.
Bewusst entschieden sich seine Mitstreiter für diese ruhigen Parts, weil sie seinem Wesen näher kommen. Das rockige „Nervana", welches auf der Bonus-DVD zu hören ist hätte in dem Kontext nicht gepasst. Wem das Intro von „Shine On You Crazy Diamond" schon immer zu kurz war, bekommt hier reichlich Zugabe. Die teilweisen sehr ambienten Strukturen werden erstmals verlassen, als sich Nick Mason mit satten Schlägen meldet. Aber nicht hart, sondern voll und warm im hallumwehten Ton und einem unglaublichen Gespür für das Timing.

Man durfte durchaus Bedenken haben bei diesem Unterfangen, beinhaltet es doch gänzlich unkomponiertes Material, welches in Jamsessions erarbeitet wurde. Das Ganze wurde in vier Suiten unterteilt, die insgesamt aus achtzehn einzelnen Nummern bestehen. Ganz im Gegenteil gestaltet sich „The Endless River" als sehr rund, atmosphärisch dicht und in sich geschlossen. Wenn diese Könner zusammen kamen, entstand immer etwas großartiges, nur sie verstehen es, diese tiefe Magie entstehen zu lassen.
Wie sie mit jedem einzelnen Ton spielen, ihn inmitten dieses weiten Ozeans tänzeln lassen ist phänomenal. Zwanzig Stunden haben sie seinerzeit auf der „Astoria", dem Studiohausboot Gilmours aufgenommen. Zwei Alben sind daraus entstanden, über den Rest kann man anhand der Bonus-DVD nur spekulieren. Ich kann die Deluxe-Edition nur empfehlen, weil sogar Filmaufnahmen von den Sessions darauf enthalten sind. So manche Musiker würden aus dem übrig gebliebenen Stoff noch ganze Karrieren stricken.

PINK FLOYD veranstalten hier verträumtes Kopfkino, schicken den Hörer durch einen sanften Bilderrausch. Dabei fällt die zweite an die „Meddle"-Phase" erinnernde Suite noch psychedelischer aus als die erste, welche an „Wish You Were Here" angelehnt ist. Die dritte wiederum hätte so auch auf „The Wall stehen können, vor allem die beiden Teile von „Allons-Y" spielen mit den treibenden Themen, wie sie auf dem legendären Doppelalbum verwendet wurden. Wenn da die schweren Töne von Produzent Bob Ezrin oder dem etatmäßigen Bassisten Guy Pratt tief in die Magengrube drücken, bekommt das perfekt produzierte Werk eine ungeheure Dynamik. Ebenso genial ist „Autumn ´68", in dem Wright auf einer großen Pfeifenorgel spielt.

Mit dem vierten Part nähern sich die Herren dem, was ursprünglich aus diesen Aufnahmen entstand. Die Melodien werden schwelgerischer und der Backgroundgesang der wunderbaren Durga McBroom bereitet auf den Schlusspunkt „Louder Than Words" vor. Der eine Titel, zu dem nachträglich Gesang aufgenommen wurde, könnte auch ohne diesen bestehen. Es benötigt keine Worte, um zu erkennen, was „The Endless River ausdrücken will, dennoch findet man mit dem Stück einen wohlbekannten Ausgang.
Auch wenn Gilmours Stimme mittlerweile etwas brüchig klingt, in der Form hätte sich auch ein Album nur aus Songs hinter seinen epochalen Vorgängern nicht verstecken zu brauchen. Das grandiose Finale wird ähnlich brillant wie bei „High Hopes zelebriert, Backgroundchöre, Streicher und Keyboards laufen zusammen und strecken ihre mächtigen Flügel aus. Auf diesen Schwingen steigen die Slideleads von Gilmour in die Unendlichkeit empor.

Ja, es ist nur ein Instrumentalalbum, aber eines der besten, die man je zu hören bekommen hat. Man muss sich einfach fallen, sich von der Atmosphäre vereinnahmen lassen, dann lässt es einen nicht mehr los. Hier geht es nicht um einzelne Songs, man muss es als wahrhaft großes Ganzes sehen. Dabei ist es noch nicht einmal ein Werk, das man am Stück durchhören muss, wenn man den Zugang findet, kann man überall einsteigen und mitschweben. Am Ende kann man dann einfach wieder von vorne beginnen, immer wieder, alles befindet sich im steten Fluss.
Nie war ein Albumtitel so treffend gewählt, es beschreibt genau diesen Zustand, völlig losgelöst von Zeit und Raum. Manch kritische Stimme betrachtete auch das Artwork als zu prätentiös und bemängelte das Fehlen der gewohnten versteckten Symbolik. Doch die wäre auch nicht angebracht, denn es verdeutlicht einfach unmissverständlich, worum es hier geht. Der Mythos liegt hier in der Musik, die jeder selbst deuten muss, da wird die Verpackung etwas offensichtlicher gestaltet.

Ich schätze Bands wie RIVERSIDE, PORCUPINE TREE, AIRBAG oder RPWL, all diese Legaten von PINK FLOYD sehr. Doch wenn die Götter ihren Olymp verlassen, dann sind alle Schäfchen ganz still und ehrfürchtig. Selbst mit einem derart schwierigen Werk haben sie wieder ihre absolute Ausnahmestellung gezeigt. Kaum ein verstorbener Musiker vorher wurde postum mit so einem Glanzstück geehrt. Im kommenden Winter wird das der ultimative Soundtrack zum Kaminabend bei gutem Rotwein oder Whiskey und Shortbread.
Natürlich werden nun die Fragen und der Druck von außen kommen, wie es denn nun weitergeht, so wie es vor sieben Jahren bei LED ZEPPELIN der Fall war. Eine Tour wird vehement verneint, aber man weiß nie, was an Angeboten kommt. Rick war nicht der Mann, dem daran lag, sich auf der großen Bühne zu verabschieden. Den Fans und meinem Seelenfrieden indes würde es sicher gefallen, aber ohne ihn ist das kaum vorstellbar. Vielleicht irgendwann auf der anderen Seite, wenn uns der Fährmann vom Cover alle dorthin geleitet hat. (Pfälzer)

 

Bewertung: 9,5 / 10


Anzahl der Songs: 18
Spielzeit: 53:03 min
Label: Warner Music
Veröffentlichungstermin: 07.11.2014

Wertung der Redaktion
Anne Andreas Jochen Maik Klaus Brix Jannick
7 8 7 7 7 6,5 7,5
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Pfaelzers Avatar
Pfaelzer antwortete auf das Thema: #15533 9 Jahre 4 Monate her
So eine Box gibt es von PINK FLOYD, sogar mehrere, die letzte kam vor zwei Jahren.

Man sollte vielleicht nicht mit der Erwartungshaltung an ein normales PINK FLOYD-Album heran gehen. Wenn man weiß, worum es geht, erleichtert das den Zugang dazu.
Andreass Avatar
Andreas antwortete auf das Thema: #15529 9 Jahre 4 Monate her
Das Album enthält zweifellos grossartige Selbstzitate, jedoch wirken diese zuweilen doch sehr Plakativ. Möglicherweise ist das auch gewollt. Die legendäre Genialität hat PINK FLOYD dadurch zwar nicht verloren, den begehrten Klassikerstatus wird das Album wahrscheinlich aber niemals erreichen, dafür sind die Stücke zu flach. Als Bonus zu einer Neuauflage zu "The Division Bell", hätte ich mir die Veröffentlichung besser vorstellen können. Das hätte durchaus Sinn gemacht: eine grosse Box mit ausführlichen Liner Notes und ein paar Gimmicks auf der beigelegten BluRay. Besser noch: Eine riesige Box mit allen Veröffentlichungen, so wie die BEATLES es vorgemacht haben (und die gab es noch nicht mal annähernd so lange).

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