XPERIMENT ist ein Chor von den Färöern. Es handelt sich dabei jedoch nicht um einen Chor wie jeder andere. XPERIMENT haben es geschafft, auch als Chor einen unverwechselbaren Sound zu kreieren, so dass man sofort erkennt, wen man vor sich hat, wenn man ein Lied hört. Hauptverantwortlich dafür ist Chorleiterin Sigrið Sivertesen, die die Songs für ihren Chor arrangiert. XPERIMENT besteht aus 34 weiblichen und männlichen Sängern, deren Stimmen sich perfekt ergänzen und ganz nach den individuellen Anforderungen des jeweiligen Songs eingesetzt werden.

Thematisch beschäftigt man sich dabei vor allem mit der Tradition der mündlich überlieferten färöischen Balladen, den Kvæði, und ein Ziel des Chores ist es, jungen Leuten diese alte Tradition wieder näherzubringen. Dadurch bin ich vor einigen Jahren auch auf den Chor aufmerksam geworden. Das Video zu „Í Gøtu Ein Dag“ ist einfach großartig, sowohl was die Gesangsperformance angeht als auch die schauspielerische Leistung von HANUS G., der im Video Tróndur í Gøtu darstellt. Leider habe ich es aber noch nie geschafft, den Chor auch live zu sehen, aber zumindest musste ich ins neue Album reinhören.

Das zweite Album des Chors hört auf den Namen „Gevið Ljóð Og Lýðið Á“, (Gebt Laut und hört zu), was auch die einleitenden Worte des Kvæði „Grímur Av Miðalnesi“ sind, im Grunde aber für alle Kvæði gilt, denn diese leben ja gerade davon, dass der Refrain von allen Anwesenden mitgesungen wird. Von dieser klassischen Struktur der Balladen haben sich XPERIMENT jedoch, genau wie die Metalband TÝR, die ja eine ganz andere Herangehensweise hat, entfernt und interpretieren sie auf ihre eigene Weise.

Doch man beschränkt sich nicht nur auf die traditionellen Kvæði, sondern wendet sich auch anderen Klassikern der färöischen Musikgeschichte zu. So ist gleich das erste Stück auf dem Album eine Interpretation von Annika Hoydals „Aldan“, ein Lied, das fast jeder Färinger mitsingen kann – und was vielleicht auch ein guter Einstieg für junge Leute ist, die damit ja aufgewachsen sind. Interessant ist, dass es mit „Eitt Dýpi Av Dýrari Tíð“ auch ein Stück gibt, das ELIN BRIMHEIM HEINESEN erst vor kurzem selbst (wieder) veröffentlicht hat. So kann man sich innerhalb kurzer Zeit zwei ganz unterschiedliche Interpretationen des gleichen Stücks anhören. Durch den geschickten Einsatz der verschiedenen Sänger wirkt das Stück auch beinahe so orchestral wie Elins Version – und doch wieder ganz anders und eigenständig.

Wer TÝR kennt, dem wird so manches Stück auf diesem Album bekannt vorkommen und es ist wirklich interessant zu hören, wie unterschiedlich die einzelnen Musiker an diese alten Balladen herantreten. „Grímur Av Miðalnesi“ und „Grindavísa“ kennt man auch in der metallischen Form, XPERIMENT bringen die Stücke jetzt in Chorform – interessant ist auch, dass beide Versionen perfekt funktionieren und die alten Stücke als Chorversionen ihren ganz eigenen Zauber entfalten.

Neben diesen bekannteren Stücken gibt es aber auch einige weniger bekannte, die speziell auf Kinder zugeschnitten sind, wie z.B. „Tá Eg Verði Stórur“ (Wenn ich groß sein werde).

XPERIMENT ist ein Chor, der die Stimmen der einzelnen Mitglieder sehr vielfältig und geschickt einsetzt, mal sind es einzelne Stimmen, die hervorstechen, mal treten mehrere Stimmen in einen Dialog zueinander, mal vereinen sich alle zu einem gewaltigen Chor. Über weite Strecken werden viele Stimmen als eine Art Instrument eingesetzt, so dass man oft gar nicht merkt, dass es bis auf Schlagwerk keine instrumentale Untermalung gibt. Hin und wieder arbeitet man mit Disharmonien, die ausgesprochen gut passen und ganz dezent wird ein Rhythmusinstrument, meist Rasseln, Handtrommeln und selten mal ein Schlagzeug eingesetzt, die den Stücken einen etwas härteren Rhythmus und mehr Tiefe verleihen. Gleichzeitig erschaffen XPERIMENT Chormusik, die nicht nur für Fans von Chorgesang interessant ist, sondern auch für Leute, die damit normalerweise nicht so viel am Hut haben (wie ich zum Beispiel). „Gevið Ljóð Og Lýðið Á“ ist ein Album, das durchweg gelungen ist und auch jeder, der sich für färöische Kvæði interessiert, sollte hier mal reinhören. (Anne)

Bewertung:

8 / 10

Anzahl der Songs: 10
Spielzeit: 33:08 min
Label: Tutl Records
Veröffentlichungstermin: 05.03.2024