Marillion + Jennifer Rothery (23.11.2018, Frankfurt)

marillion tourflyerSo relevant wie derzeit war die Neo Progband schlechthin seit langem nicht mehr. Zugegeben haben sie sich Ende der Neunziger mit ein paar Alben keinen Gefallen getan, doch wer hat das nicht? Dabei hängen sie zwar seitdem qualitativ dem Befreiungsschlag „Marbles“ hinterher, ihre Studiooutputs sind dennoch immer noch mit führend in dem Genre und weisen neue Wege auf. Zudem hat man wie viele andere das Touren als Geschäftszweig aufgebaut, was MARILLION weitere Möglichkeiten gibt. Damit gelang die Zeitenwende, welche die Formation wieder mehr nach oben spülte und im gesteigerten Interesse an Fans progressiver Tonkunst neue Anhänger generierte. Das hat zur Folge dass man nun schon zwei Jahre mit „F.E.A.R.“ um den Globus tourt, von Abnutzungserscheinungen kann bei dem komplexen Werk nicht sprechen. Nachdem man mit „All One Tonight“ eine großartige DVD in der Royal Albert Hall aufgenommen hat, wird bei den Konzerten auf ähnliches Ambiente gesetzt. Bei der „Theatre“-Tour war NECKBREAKER für euch in der Frankfurter Jahrhunderthalle, um zu sehen wie die Briten im Sitzen funktionieren.

JENNIFER ROTHERY & RICCARDO ROMERO
Wenn man schon so viel auf eigene Faust macht wie die einstigen Chartstürmer, dann kümmert man sich auch höchstselbst um den Support. Oder viel besser man rekrutiert ihn gleich aus den eigenen Reihen, dem Umfeld oder der Familie. Genau das hat der Gitarrist gemacht und neben seiner Tochter Jennifer noch den Keyboarder seiner Soloband ins Vorprogramm verfrachtet. So standen die beiden da recht alleine auf der großen Bühne, auch wenn für den Hauptact hinter ihnen schon alles angerichtet war.

Nicht zu verhehlen, dass die große Halle der Sängerin, die normalerweise mit ihrem eigenen Projekt SYLF unterwegs ist, schon ein wenig Ehrfurcht abverlangte. Sie schien ihren Mikrofonständer nur sehr ungern loszulassen und richtete sich auch lediglich zaghaft an ihr Publikum. Auch vom Outfit her war sie recht bieder, was allerdings auch zur Bodenständigkeit ihres Vaters passte. Ihr Kompagnon hatte ebenso wenig hinter dem er sich verstecken konnte, ein schmaler Nord-Synthesizer gibt nicht den meisten Halt.

Nun konnten die beiden damit auch nicht den opulentesten Sound zaubern, mit dem man das ausverkaufte Auditorium hätte begeistern können. Zwar fügte Romero noch gelegentlich ein paar Beats bei, doch zumeist beschränkte er sich auf sein Pianospiel. Es war schon früh zu sehen, dass die Darbietung unter nicht vorhandener Rhythmusunterstützung leiden würde. So nackt wie die zwei Musiker dastanden, so wenig Führung bekamen sie durch ihre musikalischen Ergüsse.

Jene waren jetzt nicht unbedingt schlecht, die warme engelhafte Stimme von Rothery kann sich durchaus sehen lassen, sie holte aus ihrem durchaus größeren Resonanzkörper einiges heraus. Doch so schön sie auch sang, nach kurzer Zeit stellten sich erste Ermüdungserscheinungen ein, weil man im Tempo so gar nicht variierte. Songs wie „Northern Star“ oder „Fade Into You“ verharrten immerzu im gleichen getragenen Modus und konnten dadurch natürlich keine Akzente setzen, hier griff leider nicht viel.

Wenn der Mann an den Tasten dann vielleicht mal ein wenig anziehen wollte konnte die junge Dame nicht folgen. Daher wirkte auf die Dauer sehr eintönig, wenn auch die Lieder für sich genommen schön waren. Dass die Publikumsreaktionen denn auch bescheiden waren, verunsicherte die Beiden noch mehr. Der Zwiespalt zwischen dem Wunsch aus sich heraus zu gehen und der Scheu war zu spüren. Von der Atmosphäre konnten sie die Leute sicher in Stimmung bringen, nicht aber von der Dynamik.

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MARILLION
Und die treue Gefolgschaft, welche sich in den letzten Jahren merklich erweitert hat, machte sich schon vor Konzertbeginn mit rhythmischem Klatschen auf sich aufmerksam. Da waren einige ganz heiß darauf, obwohl man die Truppe in unseren Clubs wieder deutlich öfter vorfindet. Obwohl bequem sitzend machten 2.400 Zahlende auch mächtig Alarm, als die Achtzigerhelden die Bühne betraten. Dem Ambiente in den ehrwürdigen Kuppelbau entsprechend wurde auch bei der Show mächtig aufgefahren, Hallen dieser baulichen Größenordnung bringen auch die riesigen Projektionen zur Geltung. Wo man bei der DVD-Aufzeichnung aufgehört hatte, machte man hier weiter, Licht und Bilder verbanden sich zu einer wunderbaren Einheit.

Eine Einheit sind die Musiker schon lange, dreißig Jahre und vierzehn Studiolongplayer hat man gemeinsam in den Knochen und hat sich stetig gewandelt, was ein gewisses Selbstverständnis untereinander voraus setzt. Jenes blinde Miteinander konnte man an dem Abend merklich wahrnehmen, es bedarf nicht viel Kommunikation auf der Bühne, um sich perfekt abzustimmen und dennoch herrschte untereinander ein Austausch.
Das hier wurde brillant in Form gegossen, jedes Detail war plastisch zu vernehmen, genau die Details, die sich nach und nach entfalten, sich gegenseitig ablösen oder befruchten. So kam auch bei länger durchexerzierten Themen nie Langeweile auf, ein Synonym für die Karriere der Band. Klanglich umspülte das den Zuhörer, der auf den Soundwogen dahin gleiten konnte. Dass die Höhen in den oberen Etagen etwas Echo von sich gaben war denn auch baulich bedingt und kein Fehler des Mischers.

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Wie schon beim aktuellen Album mauserte sich Mark Kelly zum heimlichen Star des Abends. Hochkonzentriert stand er hinter seiner Keyboardburg und weiß jedes noch so kleine Soundloch wahlweise mit Orgel, Piano, Moog – oder Digitalsynthesizer zu stopfen. Er war es, der die Fäden in der Hand hielt, der die fein gemalten Klanglandschaften kreierte, auf denen sich die Frontleute austoben konnten.
Davon machte vor allem Steve Rothery Gebrauch, der den Klang der Formation mit seinem Solospiel prägte. Doch auch in Zeiten, in denen sie sich vom Neo Prog in Richtung Art Rock gewandelt haben, sind seine Riffs und Licks immer noch typisch und sofort wieder zu erkennen. Meist blieb er dabei versunken in das eigene Spiel vor seinen Monitoren stehen, gönnte sich nur ein paar Ausflüge auf die rechte Seite, diese aber erhaben stolzierend.
Anders sein Kollege am Langholz, der wie immer herum tänzelte und auch mal ganz nach vorne an den Bühnenrand kam. Mit seinem pumpenden Spiel unterstützte er die tiefe Atmosphäre, drückte jedoch ebenso nach vorne, wenn es der Moment verlangte. Das gab seinem Rhythmuspartner Ian Mosley den nötigen Schub, um seine Drumbreaks anzubringen, die oft die Progwurzeln offenlegten.

Und vorne gab Steve Hogarth den Unermüdlichen, der neben seinem Sangesvortrag noch allerlei Instrumentarium bediente. So legte er Sechssaiter ebenso wie sein patentiertes Miniumhängekeyboard permanent an und ab, wobei einige Zuschauer letzterem ein paar Töne entlocken durften. Und den Kontakt mit den Zuschauern suchte er gerne, auch wenn die sitzend etwas weiter weg waren als gewohnt.
Ein paar Mal sprang er sogar auf die Flightcases, die vor der Bühne geparkt wurden, den Weg zu seinem Mikro oder E-Piano legte er dann tänzelnd zurück. Obendrein legte er sich mit Gestik und Mimik in jede Komposition hinein, lebte sie förmlich mit. Normalerweise müsste im Lexikon unter Theatralik einfach sein Bild platziert sein. Wie er bei dem seinem Kindheitsidol Donald Campbell gewidmeten Titel auf der Bühne saß und sich die Videosequenzen ansah, hatte etwas Magisches.

Die komplette Performance war sehr darauf bedacht, die Emotionen herüber zu bringen und das Konzept ging auf, auch weil wie eingangs erwähnt die Farben und Formen mitspielten. Wer MARILLION kennt, weiß was für eine Wundertüte ihre Setlist sein kann. Sie können sich gewiss sein, dass die treue Anhängerschaft alles abfeiert, die Favoriten, welche andere Acts bringen müssen gibt es bei ihnen nicht. So haben sie alle Freiheiten, was sie so speziell macht und doch füllen sie ihren riesigen Katalog immer mit dem nötigen Maß an Gefühl und Präzision. Drei Longtracks mit über einer viertel Stunde Spielzeit sind schon sehr mutig, doch der wurde belohnt.

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Natürlich kann man es nicht jedem recht machen - selbst Hogarth bezeichnete das Programm als seltsam – doch jeder durfte sich über das ein oder andere persönliche Highlight freuen. Vielleicht hätte man anstatt drei Songs von „Holidays In Eden“ mehr von „Season´s Ende bringen sollen. Man muss der damaligen Hitsingle zu Gute halten, dass sie in der Zugabe jeden von den Stühlen erheben ließ. Sicher wären vom Hogarth-Einstieg zum Jubiläum weitere Titel begrüßt worden, doch alleine der Titelsong freute mich persönlich sehr, weil noch nie live gehört. Überraschenderweise gab es keine Beiträge vom letzten Werk und sogar „Brave“, es kommt immer darauf an, welche Tour man besucht hat, was man denn schon öfter gehört hat, das hält es spannend.

Spannend ist nämlich immer ein Stichwort bei progressiver Tonkunst und der Fünfer beherrscht diese Disziplin besser wie kaum jemand sonst. Das in jeder Beziehung, nicht nur beim grandiosen Spiel mit der Dynamik, die den Hörer in den Bann zog. Auch wenn die vollbesetzte Halle viel Applaus spendete, so blieb sie in den konzertanten Passagen ruhig und lauschte den fein gesponnenen Klängen andächtig. Damit verschmolzen Musiker und Publikum noch mehr zu einer Einheit als sie es mit ihrer Fannähe ohnehin sind. Sie gehen jeden Weg mit, den ihre Helden gehen, und die sind ständig auf der Suche sowohl nach Themen als auch Ausdrucksformen. Und wer solche Zusammenkünfte über 130 Minuten zelebriert, der wird auch weiter so relevant bleiben wie derzeit. (Pfälzer)

Setlist MARILLION:
The Leavers
No One Can
Season´s End
Beautiful
Living In Fear
The Party
Out Of This World
Quartz
This Strange Machine
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El Dorado
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Cover My Eyes (Pain And Heaven)
Neverland

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