Igorrr - Spirituality And Distortion

Igorrr 2020 200

IGORRR zeichnet sich damit aus, dass die Band nicht einem Genre treu bleibt, nein, es sind unzählige verschiedene. Death und Black Metal über Breakcore bis zum Barock und Klassik. Für das Album „Distortion and Spirituality“ fügt er sogar ein neues hinzu: er orientiert sich an traditioneller östlicher Musik.

Keine Ahnung, woher sie kommt, aber die Farben dieser Klänge haben mich sehr inspiriert.[…] Diese Klänge haben eine echte emotionalen Tiefe, und in Kombination mit schwerer Musik ist es etwas, das mich sehr tief in mich selbst hineingezogen hat und mich dazu getrieben hat, Tracks wie 'Downgrade Desert', 'Camel Dancefloor', 'Himalaya Massive ​Ritual' oder 'Overweight Poesy' zu schreiben." So Gautier Serre in einem Interview über das neue Album. Auf seinen Alben nimmt er den Hörer immer auf emotionale Reisen mit und lässt ihn verschiedene Geisteszustände erleben.

Orientalische Musik findet man in meiner Playlist eigentlich nicht, aber umso spannender fand ich es, mich auf etwas neues, und mir sonst so unbekanntes einzulassen. Ebenso waren die Instrumente Oud und Kanoun neu für mein Gehör. Besonders war ich gespannt, wie er diese neue Musikrichtung in seine bisherigen Genre einpflegt. Zudem konnte ich mir nicht vorstellen, wie ich euch Lesern diese Art von Musik am besten übermittel, da sie so viel Vielfältigkeit, Farbklang und Variation enthält, dass es mir schon schwergefallen ist, dem Gehörten treu zu bleiben. Hier könnt ihr nun Einblick in acht Songs erhalten (Nehmt es mir nicht übel, wenn ich nicht alle Instrumente und Stimmen korrekt herausgehört habe, es ist ein Sounddschungel):

„Downgrade Desert“ leitet das Thema des Albums schon mal gut ein. Ein bisher ungewohnter, ruhiger und entspannter Sound an orientalischer Musik in Form eines Oud erklingt, der mich gedanklich irgendwo in die Wüste versetzt. Das Oud, das ein wenig nach einer Gitarre klingt, wird abgelöst von der schallende Härte einer E-Gitarre und einem Schlagzeug. Es werden praktisch beide Gegensätze (das Ruhige und die Härte) einzeln vorgestellt und werden danach miteinander verschmolzen. Ich bin zwischen zwei Welten gefangen und mein Kopf kann nur im Takt mit nicken. Später setzt die helle Stimme der Opernsängerin Laure Le Prunenec ein, die jeweils von growlen und screamen unterstützt wird, sodass dies auch das Ende des ersten Songs wird.

Absoluter Lieblingssong des Albums. „Nervous Waltz“. Unschwer zu erkennen - ein klassischer Walzer. Es beginnt mit Streichern, die dem Anfang eine gewisse Leichtigkeit verleihen. Kurzdrauf unterstreichen ein Schlagzeug, Cembalo und der Chor die Streicher, sodass der Walzer beginnt und man mittanzen möchte (dabei sollte man vielleicht alleine sein, bevor es peinlich wird). Sobald die E-Gitarre einsetzt ist der Zauber vorbei und man wird in die harte Realität zurückgeworfen. Aber dabei bleibt es nicht. Verzerrte Streicher und ein Klaviersolo, welches zwischen zwei Noten abwechselt, unterstützt dieses nervöse Gefühl, welches mich beim Hören des Songs heimsucht. Ein massiver Wechsel aus Instrumenten entsteht, die jeweils immer mal in den Vordergrund und Hintergrund geraten. Diese Vielfalt an Dramatik der Streicher, bis hin zur Härte der E-Gitarre und dem Kontrast der 8-bit Musik, die auch noch irgendwo dazwischen eingebaut wurde, lassen mich gar nicht mehr aus dem Staunen heraus kommen.

Zerschlagen wird dieses doch recht ruhige klassische Stück, als „Very Noise“ erklingt. Die Single erschien schon einige Wochen vor der Veröffentlichung und hat wohl wieder einige Hörer zum Lächeln gebracht. Dieser Song wird so schnell heruntergerattert, dass ich nicht mehr weiß, wo oben und unten ist. Wer sich das Video mal angeschaut hat: Ich bin dieser Mann, der dort steht und dem ganzen einfach nur völlig bewusstlos zuschaut. Viel mehr muss ich wohl zu diesem „Song“ nicht  sagen, oder? Er ist so typisch für IGORRR, dass ich mich mal wieder frage, was er eigentlich an der Klatsche hat und trotzdem liebe ich ihn so sehr. Einfach weil er gestört ist.
„Hollow Tree“ ist eine musikalische Kombination, die dem Hörer so nichts Unerwartetes vermittelt. Ein Cembalo lässt den Song beginnen und die Opernsängerin Laure Le Prunence zeigt die Varietät ihrer Stimme, wenn auch in etwas schriller Form. Der Chor im Hintergrund, der sie unterstützt, klingt in Kombination von Streicher, Bass und Schlagzeug wesentlich gewaltiger und mächtiger. An sich ein ruhiger Song, der nicht auf metallische Härte setzt.

Etwas Amüsantes für zwischendurch „Musette Maximum“. Ein Akkorden steht dieses Mal im Vordergrund mit dem Schlagzeug, dessen Drums durch schnelle, kurze Schläge einen verdammt guten Bass erzeugen. Für mich klingt es nach einem Jahrmarkt. Der Scream erinnert mich an Kinderschreie, die einen Jahrmarkt sehr laut und anstrengend werden lassen. Außerdem klingt das Tempo nach viel Trubel und vielen Besuchern. Gegen Ende kehrt mit dem Schlagzeug und dem Akkordeon wieder Ruhe ein, die einen Jahrmarkt als etwas Schönes wiederspiegelt.
„Overweight Poesy“ wird durch ein Kanoun und Streicher eingeleitet, das mich zunächst von der Stimmung her sehr betrübt und mich an Sehnsucht erinnert. Auch die Stimme der Opernsängerin klingt sehr schwermütig, weinerlich und traurig. Darauf folgt ein Umbruch der Musik und Stimmungswandel, denn die E-Gitarre und Schlagzeug lassen eine düstere, unruhige und aggressive Atmosphäre entstehen, die von  growling und screaming unterstützt werden. Ein Wechsel aus diesen Stimmungen wird ins Leben gerufen, jedoch verebbt dieser und Kanoun und Streichern beenden das Lied, so wie sie es auch begonnen hatten.

„Barocco Satani“ Der heilige Barock kommt auch auf dieser Platte zum Vorscheinen, aber es wäre nicht IGORRR, wenn es nur dabei bleiben würde. Zunächst steigen die Streicher mit einem ruhigen und recht traurigen Solo ein, bis der Schlag aufs Becken erfolgt. Sofort kommt es zur Änderung der Instrumentierung, denn nun stehen das Schlagzeug und die E-Gitarre im Vordergrund, die die vorige Ruhe und negative Stimmung nehmen. Metallische Härte und Schnelligkeit ist zu vernehmen. Im darauffolgenden Wechsel ertönen wieder die Streicher von Beginn, die dann vom Cembalo und der Sängerin abgelöst werden. Parallel zu ihr singt ein Chor, der die klassische Musik nochmals unterstreicht. Des Weiteren singt sie abwechselnd zur klassischen Musik, als auch zur härteren metallischen Musik. Die Streicher werden in Verbindung gesetzt mit dem Schlagzeug und Gitarre und erklingen in kurzen stakkato Tönen, die es bedrohlich und nervös klingen lassen. Wer sich mal mit der Musik des Barocks auseinandergesetzt hat, dem fällt sicherlich zum Titel die Affektenlehre ein, die hier besonders gut zu hören sind. Einzelne Emotionen lassen sich hier besonders heraus.

Unkonventionell kam der Titel der Platte zustande:  "Am Anfang habe ich mich entschieden, einen der Tracks 'Spirituality And Distortion' zu nennen, da auf diesem Track tiefe orientalische Klänge mit extrem verzerrten Gitarren zu hören waren, die ich durch das in Brand stecken der Cabs meines Verstärkers erzeugt hatte. Dabei fand ich den perfekten Spagat zwischen Spiritualität und Verzerrung, zwei völlig gegensätzliche Konzepte, und später bemerkte ich, dass dies nicht nur bei einem, sondern bei vielen Stücken des Albums der Fall war - die schwere Verzerrung aufgrund der Einstellungen und des tatsächlichen Feuers, und die spirituelle Stimmung, die die nahöstlichen Instrumente der Seele gaben. Dieser Titel repräsentiert ziemlich gut den Spagat zwischen zwei gegensätzlichen Gefühlen, und das ist das gleiche Gefühl, das man hat, nachdem man das Album gehört hat."

IGORRR sollte man sich einfach mal anhören und es auf sich wirken lassen, als dass die Beschreibung einem jedes Detail vermitteln könnte. Das Klangfeuerwek an Vielschichtigkeit der Instrumente ist überwältigend. Den Titel der neuen Platte hat er passend ausgesucht. Ich denke, kein anderer Titelname hätte das Album näher und besser beschreiben können, als dieser. Die orientalische Richtung wurde sehr gut in die bereits bestehenden Genres integriert und aufgenommen und auch die Verteilung auf die Songs war sehr ausgewogen. Als ich gesehen habe, dass die Band „Very Noise“ veröffentlicht hatte und der Titel auch wieder so unglaublich gut gestört war, habe ich mich so auf das neue Album gefreut. Gegen Ende der Review gleicht mein Gehirn dem von Very Noise - es lag in Ketten und zerspringt nun. Bei diesen vielen, abrupten Wechseln, die sich in den Liedern befinden, muss das Gehör erstmal so schnell mitkommen. Das Album hat definitiv nicht enttäuscht und ist besser geworden, als ich es mir vorstellen konnte. Schön, dass du wieder zurück bist, IGORRR. Ich habe deine Launen vermisst! Tu m’as manqué. (Sarah-Jane)

 



Bewertung:

sarahjane9,5 9,5 / 10


Anzahl der Songs: 14
Spielzeit: 55:38 min
Label: Metal Blade Records
Veröffentlichungstermin: 27.03.2020

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