Dennis DeYoung - 26 East: Volume 1

dennisdeyoung 26eastvol1So einen richtigen Konkurrenzkampf gibt es nicht, obwohl sich beide Lager wenig wohl gesonnen sind und ihrerseits mit dem alten Material auf Tour sind. Zumindest gibt es keine zwei Versionen von STYX, welche das Land bereisen, denn ihr früherer Sänger und Keyboarder war schon früher solo unterwegs. Weder DENNIS DEYOUNG noch seine alten Kollegen bringen noch viel neue Songs heraus, während sich Shaw und Co. zuletzt sechzehn Jahre Zeit ließen, war es bei ihm nun schon dreizehn Jahre seit "One Hundred Years From Now". Dabei hat der Mann so viel Material geschrieben, dass es jetzt für zwei Alben reicht, der erste Teil "Volume 1" liegt nun vor. Und wäre sein Freund und Nachbar, der von SURVIVOR bekannte Jim Peterik nicht gewesen, wäre "26 East" vielleicht gar nicht erschienen.

Denn mit seiner eigenspielten Truppe ist er live ausgelastet genug, das letzte Livedokument mit ausschließlich Songs seiner von ihm mitbedründeten Band war auch sehr stark. Im Übrigen markiert der Albumtitel die Adresse in Chicago, wo DeYoung mit den Panozzo-Zwillingen STYX aus der Taufe hob. Und genau da knüpft der Opener "East Of Midnight" direkt an. Diese Fanfaren, die Orgelbegleitung, die Satzgesänge und das Timbre, die Melodieführung, die orchestralen Synthsoli und die Stimmung hat man exakt so auf "The Grand Illusion" vernehmen können. Eine großartige Selbstreferenz, welche wie die gesamte Scheibe auf den Punkt eingezockt und produziert wurde, hier macht sich die ganze Erfahrung der Begleitband bezahlt.

In der Folge eröffnen abgedrehte rhythmische Gesangsarrangements in "With All Due Respect" einen bunten Reigen aller Klangfarben des AOR-Spektrums. Die Vocals geben den Takt für die offenen Hard Rockgitarren vor, die alsbald reinkrachen. Das groovt wie die Hölle, während es im Refrain fast schon Gangshouts setzt. Der wenig respektvoll besungene Protagonist der Lyrics wird zwar nicht namentlich genannt, doch mit der Betonung auf Fake News sollte klar sein, dass die Nummer der größten Orange aller Zeiten gewidmet ist.
Rockig schiebt später auch "Damn That Dream" voran, die flirrenden Leads brillieren im Duett, das Piano fordert, die Riffs schneiden hinein, alles ist knallig angelegt, hat Drive und die mehrstimmigen Gesänge sind so typisch für die Band. Etwas seichter geht es danach in "Unbroken" zu, die Leadfills sind herrlich melancholisch, die Melodie leichtfüßig ohne die Erhabenheit vermissen zu lassen. Hier wird die Mitarbeit von Peterik am deutlichsten hörbar, jener gekonnte Achtzigermainstream wäre seinerzeit ein Hit gewesen.

In ruhigen Gefilden entfalten die Kompositionen ebenso ihre Kraft, die sie aus der Reibung von Theatralik und Emotionalität schöpfen. Art Rockatmosphäre der Siebziger und blubbernde Tasten leiten "A Kingdom Ablaze" ein. Man hält die Spannung bewusst lange an der Grenze, bevor man den Song von der Kette lässt, dann darf der Chorus mit all seiner Kraft und Weite losbrechen. Mit "The Promise Of This Land" bemüht man sogar die Nähe zum Klassiker "Come Sail Away" und es funktioniert tatsächlich. Vom Piano getragene Harmonien mit BEATLES-Schlagseite steigern sich vom Drama immer mehr, und die Synthesizerschwaden bauen die Instrumentierung massiver auf. Wo ein weiterer Ausbruch zu erwarten war, sorgen dann Gospelstimmen für eine überraschende Wendung.

Wem die Pathospeitsche hier noch nicht laut genug knallt, der darf sich auf "Run For The Roses", wohl den Song des Jahres freuen. Erneut herrscht zu Beginn wunderbare Melancholie vor, welche die sechs Saiten auch ins Solo transportieren. Vom Meister selbst gespielte Pianolinien übernehmen diese Melodramatik, Streichercrescendo hebt in der Bridge das Parkett auf dem seine Melodielinien tänzeln, bevor die Chöre endgültig alles in höchste Sphären heben. Das hat Macht, das hat Wucht, aller erbebt, der beste Refrain, den Jim Steinman nie schrieb.
Seiner Liebe für die Fab Four lässt DENNIS DEYOUNG auf der Scheibe ebenfalls öfter freien Lauf, am offensichtlichsten in "To The Good Old Days", bei dem er eine traumhaft schönes Duett mit Julian Lennon liefert. Von dem Spross der Legende war schon lange nichts mehr zu hören, aber seine Stimme hat den Samt von "Valotte" nicht verloren. Das herrlich schwelgerische Stück ist eine Hommage an die guten alten Zeiten, welche auf "26 East: Volume 1" wunderbar aufleben gelassen werden. Streicher, E-Piano und Orgel hüllen einen ein wie ein warmer Mantel und entführen an einen besseren Ort.

Wo es seine alten Kollegen auf "The Mission" nicht fertig brachten phantastische Ideen wie "Radio Silence" oder "The Outpost" durchweg konsistent umzusetzen, gelingen dem immer noch begnadeten Sänger jene Momente. Der erste Teil des Longplayers bietet neun perfekt auskomponierte kleine Kunstwerke, eingängig und ergreifend und am Ende mit "A.D. 2020" eine Fortführung des "Paradise Theater"-Themas mit sanftem Akkordeonausklang. In der Form darf man sich auf "Volume 2" nur freuen, wenn diese Titel nie veröffentlicht worden wären, es wäre eine Schande gewesen. Bei all meiner Liebe für die jüngeren AOR-Legaten THE NIGHT FLIGHT ORCHSTRA oder GATHERING OF KINGS, der Altmeister hat ihnen gezeigt wie das Genre definiert wird. (Pfälzer)

 

Bewertung:

Pfaelzer9,0 9,0 / 10


Anzahl der Songs: 10
Spielzeit: 43:50 min
Label: Frontiers Records
Veröffentlichungstermin: 22.05.2020

Wir benutzen Cookies
Für optimalen Benutzerservice auf dieser Webseite verwenden wir Cookies. Durch die Verwendung unserer Webseite erklären Sie sich mit der Verwendung von Cookies einverstanden