Ayreon - Transitus

ayreon transitusAls Fan von AYREON ist man ja gewohnt, sich in Geduld zu üben. Doch in letzter Zeit geht es fast schon etwas zu schnell. Erst 2017 erschien das letzte Album. Dann waren da die Konzerte in Tilburg im letzten Herbst, anschließend gab es im März die dazugehörige Live-DVD bzw. Livescheibe und nun, gerade mal ein Jahr später, kommt Arjen Lucassen schon mit einem neuen Album um die Ecke. Das hört auf den Namen „Transitus“. Wie der Name schon andeutet, handelt es sich dabei wohl um eine Art Zwischenwelt – dennoch spielt die Handlung hauptsächlich auf der Erde, im 19.Jahrhundert.

Und hatte man es bei den früheren AYREON-Alben oft schwer zu verstehen, um was es in der Story hinter dem Album überhaupt geht, so ist dies hier deutlich einfacher. Zum einen ist die Geschichte an sich simpler. Im Grunde wird hier das klassische Liebesdrama aufgegriffen. Eine verbotene Liebe, die nicht sein darf und doch über den Tod hinaus andauert. Hinzu kommt aber Arjens Phantasie, in der die Toten nicht gleich in Himmel oder Hölle wandern, auch nicht ins Fegefeuer, sondern nach Transitus, wo der Angel Of Death entscheidet, was mit den Verblichenen geschehen soll.

Darüber hinaus gibt es hier auch noch einen Erzähler, der durch die Geschichte führt. Das ist hilfreich für das Verständnis der Story, stört aber doch oft den Fluss des Albums an sich. Während z.B. „01011001“ eher wie ein Album wirkt, bei dem die einzelnen Songs wirken sollen, hat man bei „Transitus“ den Eindruck, dass es für die Bühne geschrieben wurde und eher Musical als Album ist. So fehlen den Songs in den allermeisten Fällen auch die klassischen Strukturen von Strophe und Refrain. Stattdessen wird die Geschichte fortlaufend erzählt, meist in Dialogen. Das macht die einzelnen Songs dann beim einfachen Hören doch etwas schwer zugänglich.

Viel besser kommt man in das Album, das auf zwei CDs aufgeteilt ist, wenn man sich das Booklet mit den Texten dazu nimmt. Das sollte man sich ohnehin genauer ansehen. Denn es ist nicht einfach nur ein Booklet, in dem stupide die Texte abgedruckt wurden, sondern zu jedem Song gibt es einen kurzen Comicstrip, in dem die Handlung des Stücks noch einmal visuell dargestellt ist. Dabei sind die dargestellten Charaktere optisch den jeweiligen Sängern nachempfunden, so dass man schon hier erraten kann, wer denn welche Rolle singt. Und dabei stößt man auf so manches neue Gesicht. So wird z.B. die Hauptrolle der Abby von Cammie Gilbert verkörpert, die normalerweise bei OCEANS OF SLUMBER singt und somit innerhalb von 5 Wochen zwei Alben veröffentlicht.

Für viele vielleicht überraschend ist der Einsatz von Johanne James, den die meisten wohl als Drummer von THRESHOLD kennen dürften. Weniger bekannt ist, dass er bei seiner anderen Band KYRBGRINDER nicht nur trommelt, sondern auch singt. Schon länger bei AYREON ist dagegen Tommy Karevik, der die männliche Hauptrolle Daniel singt. Den Sprecher mimt niemand geringeres als Tom Baker. Dr. Who-Fans dürften hier aufhorchen.

Doch zurück zum Album. Dieses ist als Einheit zu sehen, und einen einzelnen Song zum Beispiel als Anspieltip herauszupicken fällt extrem schwer. Ja, es wurden ganze vier Singles zum Album veröffentlicht und man kann wohl behaupten, dass diese zu den eingängigsten Songs des Albums gehören. Dennoch wirken sie herausgerissen und kommen alleine nicht so gut an wie im Fluss des Albums. „Transitus“ sollte schon im Ganzen genossen werden. Allerdings krankt das Album hieran auch etwas. Denn so mancher Song wirkt etwas langatmig und künstlich aufgebläht. Auch hier hat man wieder den Eindruck, dass das Album eigentlich für die Bühne geschrieben wurde und lange Instrumentalparts den Darstellern Zeit zum Kostümwechsel verschaffen sollen.

Schön sind aber z.B. Verweise auf frühere Alben, wie das ganz offensichtliche „This Human Equation“, in dem aber auch die Beschreibung der Menschen verdächtig an die Ansichten von Q aus Star Trek: The Next Generation über die Menschheit erinnert. Auch musikalisch gibt es immer wieder Verweise auf frühere Alben. Insgesamt ist der Metalanteil jedoch recht stark zurückgefahren. „Transitus“ ist eher Rock als Metal, dem Orchester wird viel Raum eingeräumt und nur hier und da gibt es mal ein wirklich hartes Riff oder gar ein Gitarrensolo. Die Story selbst ist nett, aber auch - samt Ausgang – nicht allzu überraschend und relativ vorhersehbar. Insgesamt ist sie etwas phantasieloser als die Geschichten, die hinter den alten Alben stecken. Man könnte sie fast schon als profan bezeichnen und man hat ein wenig den Eindruck, dass Arjen Lucassen das Gefühl hat, liefern zu müssen und sich nicht die Zeit nimmt, die er wirklich für die Entwicklung eines Storykonzeptes braucht.

Trotz aller Kritik ist „Transitus“ jedoch kein schlechtes Album, es ist ein schwieriges (Kritik ist hier eher Jammern auf hohem Niveau). Es ist kein Album, das man mal so eben nebenbei hören kann. Dann nervt der Sprecher, dann dehnen sich die einzelnen Songs. Am meisten Spaß macht das Album tatsächlich, wenn man sich beim Hören das Booklet betrachtet. Denn dann kommt man kaum dazu, sich alle Details der schönen Zeichnungen anzusehen und die Zeit vergeht wie im Flug. „Transitus“ ist ein Album, das alle Sinne anspricht. Um diese Arbeit wirklich würdigen zu können, muss man sich tief hineingraben und wirklich in Ruhe zuhören. Dann erkennt man auch, was für ein tolles Werk Arjen wieder geschaffen hat. Und da es schon so verdächtig danach klingt, für die Bühne geschrieben worden zu sein, hoffen wir einfach mal, dass das auch so ist und wir bald (bzw. irgendwann, wenn Corona uns endlich wieder lässt) dieses Album auch als Aufführung auf einer Bühne erleben können werden. Ich würde es gerne sehen. (Anne)

 

Bewertung:

Anne7,5 7,5 / 10

Anzahl der Songs: 9 / 13
Spielzeit: 80:41 min
Label: Mascot Label Group
Veröffentlichungstermin: 25.09.2020

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