Beach Boys - Feel Flows

BeachBoysÜber eine Band zu schreiben, die auch nach nahezu sechzig Jahren Musikbusiness und allein 29 veröffentlichten Studio-LP`s immer noch im Geschäft ist, stellt sich zugegebenermaßen als äußerst schwierig dar. Unzählige Biografen und Rezensenten haben die erfolgreiche und gleichzeitig auch sehr tragische Geschichte der BEACH BOYS thematisiert, darüber recherchiert, spekuliert oder fantasiert.

Für mich verhält es sich ähnlich mit den BEATLES. Ich war einfach zu jung, um ein glühender Follower zu werden, denn die Hauptfanbase beider Bands tendiert doch zum mittlerweile „biblischen Alter“. Den unermesslichen Wert beider Bands, die immense Bedeutung für spätere Musiker und die Musik selbst, die Experimente mit unbekannten Tönen, Klängen, Instrumenten; der Einsatz von Konzertmusikern und Chören, all diese enorm innovativen Gedanken von Genies wie John Lennon oder eben auch Brian Wilson von den BEACH BOYS im Kontext der damals spärlichen Möglichkeiten und Gegebenheiten; all das habe ich erst viel später kennen und schätzen gelernt und haben mir als „Kind der Achtziger“ einen völlig anderen Blick auf die (Rock)-Musik gewährt.

Ich war kein BEACH BOYS-Fan; kannte natürlich alle im Radio gespielten populären Songs der Hit-Charts aus den Jahren 1962 bis 1965 bereits veröffentlichten 10 Studio-LP` s, mit der Leichtigkeit der Musik zu den Hauptthemen Strand, Surfen und Liebe. Aber analog zu den frühen BEATLES Werken konnte ich der Musik zunächst keine große Bedeutung zumessen. Bis zu jenem Tag als ich „Revolver“ gehört hatte. Dies änderte alles. Und daher begann ich mich auch mit den BEACH BOYS zu beschäftigen, denn ich wollte den Hype um „Pet Sounds“ aus dem Jahr 1966 verstehen, welches praktisch von der gesamten Musik-Medienwelt als eines der einflussreichsten und wegweisendsten Konzeptalben aller Zeiten gekürt wurde, eng verknüpft natürlich mit der Tragik um die Wilson-Brüder, dem völlig zügellosen Alkohol-und Drogenkonsum, der Melancholie, Schizophrenie und manischen Depressionen von Mastermind, Genie und Bandleader Brian Wilson, der den Ausbruch aus dem sicheren Kommerz wagte und „Kunst“ produzierte.

Wer „God Only Knows“ gehört hat, versteht es. Jedenfalls war „Pet Sounds“ der Höhepunkt im Schaffen Brian Wilsons und mit den Worten von Paul McCartney :“ Ich glaube, niemand weiß wirklich was über Musik, solange er dieses Album nicht gehört hat.“ Zwar ist der häufige vierstimmige Chorsatz unter Verwendung teilweise ungewöhnlicher Harmoniefolgen noch deutlich vorhanden, allerdings mit deutlich erwachseneren Themen. Die Beach Boys schufen ein Gesamtkunstwerk, das sich sowohl künstlerisch als auch kommerziell als erfolgreich erweisen sollte. Und Brian Wilson versuchte in seiner schizophrenen Manie zu beweisen, dass er und nicht Lennon/McCartney, der beste Songwriter seiner Generation sei.

Laut BEATLES-Produzent George Martin inspirierte Pet Sounds die BEATLES zum Album „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“. Fieberhaft arbeitete Brian Wilson nach „Pet Sounds“ an „Smile“, und erlitt einen Nervenzusammenbruch während der Aufnahmen, da es ihm nicht gelang, an das wegweisende BEATLES-Album anzuknüpfen. Er verzettelte sich mit dem „Smile“-Projekt völlig und seine psychsiche Erkrankung wurde immer sichtbarer. Er brach das Projekt ab und verbrachte Jahre in psychiatrischer Behandlung. Ironischerweise war das Beatles-Album von Wilsons Werk „Pet Sounds“ von 1966 beeinflusst. Erst 37 Jahre später, am 29. September 2004, veröffentlichte Brian Wilson dann schließlich „Brian Wilson presents Smile“.

Soweit zur Einführung, denn nach dem gescheiterten „Smile“ und dem übermächtigen „Pet Sounds“ veröffentlichten die BEACH BOYS weiterhin ständig LP`s, allerdings war der Hype der frühen Sechziger Jahre verflogen und auch an das Kunstwerk „Pet Sounds“. Und das war tragisch, denn gerade in den Siebziger Jahren veröffentlichten die BEACH BOYS hervorragende Alben, die nicht die Beachtung fanden, welche die Alben verdienten. Zudem war der übermächtige Einfluss Brian Wilsons verflogen und die Bandstruktur vielfältiger.

Capitol/UMe veröffentlicht nun am 30. Juli eine umfangreiche 5CD-Box von den BEACH BOYS mit dem Titel "Feel Flows - The Sunflower And Surf's Up Sessions 1969-1971", die eine überaus spannende Periode in der legendären Karriere der Band zwischen 1969 bis 1971 in allen Einzelheiten einfängt. Es handelt sich um remasterte Versionen der Alben „Sunflower“ und „Surf's Up“ und bietet 133 Songs, darunter 108 bisher unveröffentlichte Tracks, Live-Aufnahmen, Radio-Promos, alternative Versionen, alternative Mixe, Backing-Tracks und A-Capella-Versionen, die aus den Album-Sessions stammen. Als gekürzte Versionen von „Feel Flows“ werden außerdem 2LP- und 2CD-Sets angeboten, die mir beim Anhören vorlag. Die Doppel-CD bietet remasterte Versionen der Originalalben und enthält 54 Titel, darunter 32 bisher unveröffentlichte Tracks.

Vorab wirbt die Plattenfirma mit dem unveröffentlichten Kunstwerk „Big Sur“, einer Hommage an die kalifornische Küstenstadt, ursprünglich aufgenommen für Surf‘s Up und seit fünf Jahrzehnten seiner Veröffentlichung harrend. Für den eingefleischten Fan kaum zu erwarten, ein fünfzig Jahre altes Relikt aus den Tiefen der Archive auszugraben, wenn auch nicht der Hype entstehen wird wie anlässlich des verschollenen BEATLES Song „Free As A Bird“ in den Neunzigern.

„Sunflower“ beginnt mit dem von Dennis Wilson komponierten und gesungenen „Slip On Through“. Ein guter Einsteiger, meilenweit weg vom „Surf-Sound“ als guter Motown-Song mit sehr starken BEATLES Remineszensen. Auch der Chorgesang im Refrain ist stark. Brian Wilsons melancholisches „This Whole World“ folgt, hier hier der technisch überzeugende Chorgesang der frühen Zeiten wieder präsent. Der Song versprüht eine melancholische Stimmung mit Textzeilen wie „Breakaway From This Empty Life“, „Time will Not Wait For Me“. „Add Some Music To Your Day“ erinnert durch den Harmoniegesang an die frühen Erfolgsjahre, verblasst jedoch auf dem Werk. Untypischer BEACH BOYS Song ist auch „Got To Know The Woman“ von Dennis Wilson, eine klassische Rock`N Roll Nummer. „Deirdre“, eine gemeinsame Komposition von Brian Wilson und Bruce Johnston lässt dann als schöne Ballade wieder unverwechselbar den BEACH BOYS Harmoniegesang erkennen. Nächstes Stück ist mein Favorit. „It`s About Time“ hat keine Strandharmonien oder psychedelischen Einfluss sondern ist schneller, souliger Rock.

„Tears In The Morning“, von Brian Johnston komponiert“, ist eine rührende Ballade, die auch definitiv von den BEATLES stammen könnte. Dennis Wilson`s folgendes „All I Wanna Do“ ist eine gute Ballade im BEACH BOYS-Stil die irgendwie berührt. Das rührselige, von Dennis Wilson gesungene „Forever“ plätschert als Liebeslied etwas vor sich hin, wird aber durch den abwechslungsreich arrangierten Harmoniegesang gerettet. Das anschließende von Brian Wilson geschriebene „Our Sweet Love“ bringt dann schon etwas Langweile ins Album, zu harmlos und aufgesetzt. Die Scheibe schließt mit dem von Brian Wilson komponierten „Cool Cool Water“, ein Stück, welches seine Anfänge bereits in der „Smile“- Phase hatte und eher Experiment als Song ist; wobei die Harmoniegesänge dennoch wieder fantastisch sind und sehr innovativ ein Moog Synthesizer verwendet wurde.

„Sunflower" ist in der Hinsicht ein recht augeglichenes Album, bei dem Brian Wilson nicht die Oberhand hatte. Es ist mit Sicherheit keine überragendes aber auch kein schlechtes Album der BEACH BOYS.

Das Album „Surf`s Up“, also hohe Brandung, aus dem Jahr 1971, ist das zweite in der Compilation enthaltene digital gepimpte Werk. 1971 engagierten die BEACH BOYS einen neuen Manager namens Jack Rieley. Dieser förderte die Intension, das „Surfer-Image“ endgültig abzulegen und zeitgemäße Themen zu behandeln. Von Kritikern wurde „Surf`s Up“ als das beste BEACH BOYS Album der Siebziger gelobt. Carl Wilson experimentierte auf dem Album mit dem damals neuen Moog-Synthesizer.

Mit dem Eröffnungssong „Don’t Go Near The Water“, der aus den Smile-Sessions stammte, wird der Umweltgedanke thematisiert. „Long Promised Road“ hat Drive und Power. Ein starker rockiger Song mit großartigem Gesang von Carl und schönem E-Gitarren-Solo. „Take A Load Off Your Feet“ entpuppt sich als relativ langweiliger Song, ebenso „Disney Girls“, wobei die Gesangstechnk bei den BEACH BOYS immer herausragend ist, gleichgültig wie der Song sich darstellt. „Student Demonstration Time“ folgt dem zeitgenössischen Ansatz der frühen Siebziger und stellt sich klasse als völlig untypischer Blues dar, der bestimmt eingefleischte BEACH BOYS Fans ziemlich verschreckt hat und die diesen Stilwechsel verachteten. Mit gefällt es äußerst gut.

„Feel Flows“, der Titelsong des hier neu veröffentlichten Box-Sets, ist ziemlich schräg und experimentell. Der intensive Syntieeinsatz macht den Song psychedelisch-völlig untypisch, ein geiler innovativer Song. Das relaxte, knapp zwei Minuten lange „Looking At Tomorrow“ von Al Jardine vermittelt eine unglaubliche Gelassenheit. Das Lied mit dem schrägen Titel „A Day In The Life Of A Tree“ (eine BEATLES Persiflage?) ist langsam, traurig und sehr sehr seltsam. Dominiert wird das Brian Wilson Stück von Orgelbegleitung. „Til I Die“ ist eine weitere Brian-Wilson-Komposition. Sie handelt von Brian Wilsons Gefühlen zur damaligen Zeit: „I Was Feeling Kind Of Small, And I Wrote A Song About How Small I Felt“. „Surf`s Up“ beschließt das Album unpektkulär, weit entfernt vom BEACH-BOYS-Feeling.

Beide Scheiben haben nicht den Level der frühen BEACH BOY und nicht die Klasse von „Pet Sounds“. Es befinden sich keine Songs wie „Good Vibrations“, „California Girls“ oder „God Only Knows“ auf der Compilation aber sie enthalten tolle Songs, sind experimentell und weiterführend in die Siebziger. Sie zeigen, dass neben Brian Wilson auch Carl, Dennis und Bruce Johnston talentierte Songwriter waren.

Abschließend erwähnt sei der beste Satz zu Brian Wilson, den ich in einem Interview gelesen:“ Wäre Brian Wilson nicht so durchgeknallt gewesen, hätten wir heute den Weltfrieden“.

Zur Bemusterung hat mir die Doppel-CD vorgelegen, welche remasterte Versionen der Originalalben mit 54 Titel enthält, darunter 32 bisher unveröffentlichte Tracks. (Ebi)

 

Ebi7,5 7,5 / 10

Anzahl der Songs: 54 auf der Doppel-CD
Spielzeit: 72:40 min (CD 1), 74:20 min (CD 2)
Label: Capitol Records / Universal Music
Veröffentlichungstermin: 09.07.2021

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