GENESIS, seit nahezu 55 Jahren eine der erfolgreichsten Bands der Welt, haben 15 Studioalben veröffentlicht und über 150 Millionen Tonträger verkauft. GENESIS waren Mitbegründer des pompösen progressiven Rocks und entwickelten ihren Sound immer weiter, wurden schließlich endgültig stilistisch populär mit „Abacab“, landeten den für Fans beider Lager versöhnlichen Klassiker zwischen Kommerz und Progressivität mit „Genesis“ im Jahr 1983. Mit dem extrem „Synthie-lastigen“ und von „Synth-Drums“ geprägten „Invisible Touch“, einem weiteren Schritt in die Moderne und des radiotauglichen Pops (von dem grandiosen „Domino“ abgesehen), bis hin zum kommerziellen Überflieger des Pop, dem Album „We Can`t Dance“ aus dem Jahr 1991, welches sechs Single-Auskoppelungen enthielt und über 18 Millionen Tonträgern weltweit verkauft wurden.

GENESIS polarisieren wie kaum eine andere Band. Die ewige Diskussion zwischen den Fans, ob GENESIS mit dem Weggang Peter Gabriels und der Einleitung der Phil Collins-Ära überhaupt noch GENESIS waren, besteht bis heute. Ich gebe zu, ebenfalls dem Gabriel-Lager zugehörig zu sein aber mich dennoch im Laufe der Zeit der Genialität von „A Trick Of The Tail“, „Wind And Wuthering“, „And Then There Were Three“ und schließlich auch „Duke“ angenähert zu haben.

Nur mit dem erfolgreichsten Album, „We Can`t Dance, habe ich mich aufgrund der extremen Pop-Lastigkeit niemals angefreundet. Erwähnen muss man auch das kommerziell leider nicht erfolgreiche letzte offizielle Studioalbum von GENESIS, „Calling All Stations“, mit dem nach dem Ausstieg von Phil Collins, die beiden verbliebenden Bandmitglieder Tony Banks und Mike Rutherford noch einmal den Weg antraten, weg vom Single-auskoppelnden Pop-Image, in Richtung früherer Werke zu starten. Schade, dass der dazu engagierte, charismatische und stimmlich vielseitige letzte GENESIS-Sänger, Ray Wilson, nicht die gewünschte Wirkung bei den Fans zeigte. Durch den Rückschlag des Misserfolgs wurde kein weiteres Album mehr produziert. Wer Ray Wilson auf seinen Solo-Tourneen einmal live erlebt hat, erkennt, wenn er „Supper`s Ready“ singt, die Stimmgewaltigkeit und die Dynamik, welche die Präferenzen von Collins und Gabriel vereint. Zusammenfassend denke ich, GENESIS waren und sind eine einzigartige Band, sowohl mit dem introvertierten, genialen Künstler Peter Gabriel, als auch mit dem gerne im Rampenlicht stehenden Entertainer Phil Collins.

Bis heute gibt es kein neues Studiomaterial von GENESIS, auch wenn sich die Band wieder mit Phil Collins vereinte, um 2007 in den USA und Europa zu touren. Die Konzerte in den größten Stadien der Welt waren schnell ausverkauft. Nach Veröffentlichung diverser Box-Sets, Live-Alben und remasterten Werken, standen GENESIS in der „Dreier-Konstellation“ nochmals 2022 auf mehreren Bühnen; der Auftritt am 26. März 2022 sollte dann das Ende der Live-Aktivitäten einläuten, wie Phil Collins verlautbaren ließ. Leider ist es niemals zu der von allen erwarteten Vereinigung von Collins und Gabriel gekommen bzw. der erneuten Integration von Steve Hackett als Gitarrist und Songschreiber.

Eine so bedeutende Band zu rezensieren, würde Buchbände füllen. Jetzt veröffentlichen GENESIS zum 03. März 2023 eine 53-Titel/5-CD-Box und 24-Song/Triple-LP Sets mit vielen bisher unveröffentlichten Genesis-Aufnahmen für die BBC, 1970-1998, unter dem Namen „BBC Broadcasts“. Sie wird präsentiert als eine Fundgrube für Sammler, von den Anfängen der Karriere bis hin zu den Knebworth-Auftritten (1978 und 1992), Shows im Londoner Lyceum 1980, Sessions der frühen 70er oder aus dem Wembley Empire Pool von 1975.

Interessant ist, dass bei den Aufnahmen alle drei Sänger der Band Berücksichtigung finden und Tony Banks und der langjährige Toningenieur und Produzenten der Gruppe, Nick Davis, die Songs kuratiert und produziert haben. Das Box-Set ist in erster Linie für den eingefleischten Fan gedacht, der alle verfügbaren Tonträger besitzt und sich intensiv mit der Geschichte dieser großartigen Band beschäftigt hat. Und auch hier werden Präferenzen zum Vorschein kommen, welche die Lager spalten. Mir persönlich gefällt die Intensität von Collins Leistung am Mikro im Lyceum-Theatre 1980 im Besonderen. Collins meistert souverän die Gabriel-Klassiker „The Knife“ oder „In The Cage“. BBC Broadcasts ist eine echte Schatzkiste für Genesis-Fans und sowas wie eine alternative „Greatest Hits“-Kollektion. Und hier wird jeder fündig. Eine Überraschung bieten zwei Tracks der Show mit Ray Wilson als Sänger in Birmingham 1998.

Als Kritikpunkt würde ich anmerken, dass z.B. die Live-Show im „Lyceum 1980“ mittig auf einer CD startet und dann auf die nächste aufgeteilt wird. Gleiches geschieht mit der „Wembley 1987-Tour“, die sich über die CD`s drei und vier zieht. Das ergibt einen gewissen Bruch. Auch ist es bei der guten Tonqualität schade, nicht das gesamte Konzerterlebnis der jeweiligen Shows genießen zu können. In den GENESIS Fan-Foren wird zudem die Schwierigkeit besprochen, auf 53 Tracks die Highlights der Band zwischen 1970 und 1998 zu repräsentieren. Vermutet wird, dass dies der Auftakt sein könnte, eine ganze Konzertreihe der Band-eigenen Mitschnitte außerhalb der BBC-Serie nachzubearbeiten und zu veröffentlichen. Denn in diesem Segment wurde der GENESIS-Fan im Gegensatz zu den Anhängern der ROLLING STONES oder DEEP PURPLE noch nicht verwöhnt.

Trotzdem sind auf dem Box-Set der BBC beide Phasen der Band zwischen progressiver Rockmusik und Pop, der Gabriel und der Collins-Ära, gut abgebildet. Die Wandlungsfähigkeit und Experimentierfreude der Band über all die Jahre hat auch dazu geführt, dass GENESIS Jahrzehnte lang international den Musikmarkt dominierten und es irgendwie keine einzelne ultimative Hochphase gibt, denn die kann sowohl im Bereich von Gabriels innovativer „Foxtrott“- bis zur „The Lamb Lies Down On Broadway“ Zeit gesehen werden, aber auch während Collins Konzeptalben-Phase („Trick Of The Tail“/“Wind And Wuthering“) und natürlich auch in der enorm erfolgreichen späteren Pop-Phase.

Warum das LP-Set gegenüber der CD-Variante derart extrem gekürzt und auf drei LPs gepresst wurde, ist unklar, kann aber nur am Kostenfaktor liegen. Im vorliegenden Fall macht demnach nur Sinn, sich die CD-Kollektion zuzulegen. (Bernd Eberlein)

Bewertung:

 7 / 10

Label: Universal Music
Anzahl der Songs: 53 Titel auf 5 CDs
Spielzeit: --:-- min
Veröffentlichungstermin: 03.02.2023