Es ist 2024 und RAMMSTEIN sind in Deutschland mit ihrer “Europa Stadion Tour” unterwegs und machen in Frankfurt ganze drei Tage im “Waldparkstadion” Station. Wir konnten uns Freitag vor Ort ein Bild davon machen und ich musste zweimal schauen, als ich herausfinden wollte, wie lange es her ist, dass ich RAMMSTEIN zuletzt live erlebt habe. Tatsächlich liegt die “Made in Germany 1995–2011”-Tournee schon über 10 Jahre zurück.
ABÉLARD
Das Duo ABÉLARD aus Frankreich beginnt pünktlich um 19:30 Uhr und präsentiert fast 45 Minuten RAMMSTEIN-Songs in einer Instrumentalversion, die rein auf dem Klavier vorgetragen wird. Viel Interesse schenkt ihnen das Publikum zunächst leider nicht, aber die beiden Damen schlagen sich wacker auf der B-Stage und heizen das Publikum zusätzlich mit ihren Ansagen an.
Musikalisch bietet die Band auch sicherlich nichts Uninteressantes und es sind definitiv interessante Varianten von bekannten RAMMSTEIN-Nummern. Auch die Songauswahl kann sich sehen lassen, mit “Mutter” hätte ich eher weniger gerechnet. Mehr und mehr nimmt der Applaus im Verlauf des Sets zu und die beiden bekommen verdiente Aufmerksamkeit. Gegen Ende “Du Hast” gibt es sogar La-Ola-Wellen über die Tribünen, und die Meute feiert ordentlich mit.
Eine interessante Wahl für das Vorprogramm, zumal keine Musik während den Umbaupausen durch die Boxen schallt. Und es ist sicherlich schwierig, bei der Bühne organisatorisch noch eine Band unterzubringen, die im Vorprogramm von der kleinen Bühne das Publikum animiert. Weiterhin dürften viele der RAMMSTEIN-Fans ähnlich streng wie AC/DC-Fans sein und wenige Bands als Vorbands akzeptieren. Daher machen ABÉLARD durchaus Sinn und sorgen für eine gute, kurzweilige Unterhaltung, um die Wartezeit auf den Hauptact zu verkürzen. Nur etwas schade, dass es etwas Anlauf brauchte, bis das auch das Publikum eingesehen hat.
Setlist ABÉLARD:
Mutter
Klavier
Mein Herz brennt
Wo bist du
Zeit
Ohne dich
Frühling in Paris
Engel
Deutschland
Du hast
RAMMSTEIN
Um 20:37 Uhr wird es ernst und das Intro ertönt laut über die Boxen. Sofort breitet sich Gänsehaut bei mir aus, die bis zur Mitte des Sets auch nicht verschwinden wird. Die Bühne, der Sound, das gesamte Erlebnis ist einfach unglaublich. Die Band fährt für den Set-Einstieg mittig mit einem Fahrstuhl auf die Bühne und lässt sich bereits ausgiebig vom Publikum feiern. Der Sound ist dabei brutal und man fühlt sich irgendwie mitten in der ganzen Stahl- und Industrie-Atmosphäre wieder. Hier stimmt einfach alles und es wird in der ersten Sekunde klar, mit welcher Perfektion die Band weiterhin bei der Sache ist.
Alle Augen richten sich anschließend auf Flake, der den Einstieg für “Ramm4” auf dem Keyboard macht und sofort die Menge im Griff hat. Die erste Pyro zündet dabei unerwartet und einige im Publikum zucken erschrocken zurück, vermutlich genau der gewünschte Effekt. “Ramm4” kommt gut an, und der noch immer nicht als Studioversion erhältliche Song ist in gewisser Weise ein Tribut an das eigene Schaffen der Band und perfekt als Opener geeignet. Lindemann nutzt die Textzeile “Hallo, Hallo” zur Begrüßung, und das Waldparkstation wird in schwarzen Rauch gehüllt. Ein musikalisch wie optisch starker Einstieg, der direkt zu Beginn bereits unterstreicht, was für eine Macht RAMMSTEIN live ist.
Für “Links 2,3,4” werden anschließend die roten RAMMSTEIN-Flaggen gehisst und die Band rechnet mit jenen Kritikern ab, die sie einst dem rechten Spektrum zuordneten. Die Nummer erfreut sich auch 2024 noch einer hohen Begeisterung und gefühlt singt das gesamte Publikum lautstark mit. Die Soundwand ist weiterhin unfassbar erdrückend, was sich mit “Keine Lust” noch einen Deut verstärkt. Die harten Gitarren-Riffs von Paul Landers und Richard Kruspe drängen durch den ganzen Körper und man fühlt die Nummer richtig. Auch hier klebt das Publikum Till Lindemann an den Lippen und singt den Song perfekt und lautstark mit.
Nach diesem Ausflug zum “Reise, Reise”-Album begibt sich die Band nun weit in ihre Vergangenheit zurück und präsentiert mit “Sehnsucht” einen meiner liebsten RAMMSTEIN-Songs überhaupt. Die Gänsehaut legt daher bereits zum Intro nochmal richtig zu und ich fühle mich fast wie in Trance, als die Pyros passend zum Takt einsetzen. Ja, "Sehnsucht ist so grausam", aber live auch einfach nur wunderbar. Auch hier ist das Publikum textsicher und lautstark unterwegs. Etwas, das ich in der Form bei einem Konzert im Stadium noch nie in einem solchen Ausmaß erlebt habe.
Für “Asche zu Asche” packt die Band den nächsten Showeffekt aus und pustet schwarzes Konfetti über die beiden riesigen Ventilatoren, die links und rechts von der Bühne stehen, ins Publikum. Das Bild, das sich hier bietet, ist gewaltig und einmal mehr pusht die Band das Publikum weiter an. Entgegen meiner bisherigen Live-Erfahrungen interagiert Till richtig mit dem Publikum und animiert sogar die ersten Reihen regelrecht. Bei meinen bisherigen RAMMSTEIN-Konzerten rückte das eher in den Hintergrund, sofern es überhaupt ein Thema war.
Mit “Mein Herz Brennt” geht es mit dem Opener zum “Mutter”-Album weiter, und erneut ist das Publikum wahnsinnig lauthals mit dabei und die ersten Flammen-Pyros sind zu sehen. Weiterhin schwingt Till Lindemann eine Leuchtfackel und auch wenn es noch etwas hell ist im Stadion, macht sich der Effekt bereits bemerkbar.
Beim anschließenden “Puppe” wird das Intro des Songs deutlich in die Länge gezogen, was aber im Grunde dazu dient, eine gewisse Atmosphäre und Dramatik aufzubauen und nebenbei wohl auch um den Kinderwagen, der nun als Showeinlage auf der Bühne erscheint, entsprechend vorzubereiten. Ist der Song als solches nicht schon verstörend genug durch seine harten Pausen und den hart gesungenen Text, kommt gegen Ende sogar noch schwarzes Konfetti aus dem Kinderwagen. Da rückt durchaus etwas in den Hintergrund, dass dieser zunächst leuchtet und dann sogar in Flammen steht. RAMMSTEIN verstehen ihren Job und verbinden ihre Musik und Texte wirklich in Perfektion mit dem Bühnenbild. Sieht man diese Darbietung zum ersten Mal, ist man gewiss sprachlos und eventuell sogar etwas schockiert.
Ähnlich sieht es mit der Lichtshow aus, die nun bei “Wiener Blut” besonders ins Auge springt. Die Wahl der Spots und auch die Choreografie der Lichter passen perfekt zum Thema und dem Song. Dieser stellt einen guten Kontrast zum vorhergehenden “Puppe”. Hatte ich schon erwähnt, dass RAMMSTEIN ihren Job verstehen?
Bei “Zeit” singt das Publikum wieder treffsicher mit und klatscht perfekt zum Takt, den Flake auf dem Keyboard anführt. Für einen ganz eigenen Remix von “Deutschland” kann sich Richard Z. Kruspe anschließend im passenden Outfit am Pult auslassen, und ich muss an der Stelle zugeben, dass die Atmosphäre hiervon richtig gut ist, auch wenn ich kein großer Fan von Techno bin. Der Druck, die Lightshow und dann das Finale mit den anderen Bandmitgliedern in leuchtenden Anzügen. Erneut fällt mir hier nur der Begriff “Perfektion” ein.
Im Anschluss daran spielt die Band selbstredend den Song “Deutschland” in seiner regulären Form und hier rastet die Menge schier aus. Die Stimmung kocht über und Band und Publikum verschmelzen förmlich miteinander. Dennoch kommt es mir auf den Rängen etwas merkwürdig vor, wenn die provokative Textstelle “Deutschland, Deutschland über allen” ertönt.
Ganz anders sind die Stimmung und das Gefühl anschließend beim fast schon freudigen Song “Radio”. Live kommt die Nummer aufgrund des famosen Rhythmus noch cooler rüber und auch hier überzeugt die Lichtshow auf ein Neues. Zudem sind auf den Stehplätzen tanzende Fans zu begutachten und die Ränge des Stadions werden in blaues Licht getaucht.
Der Übergang zu “Mein Teil” erfolgt hart und ohne Pause. Die Band steigt direkt in das harte treibende Riff ein, welches live noch immer kein Deut von seiner Faszination verloren hat. Auch die bekannte Show-Einlage mit Flake, der im Kochtopf brodelt und von Till mit einem Flammenwerfer und anschließend sogar einer Flammenkanone angeheizt wird, ist immer wieder schön zu sehen und gehört inzwischen fest zu jedem RAMMSTEIN-Konzert dazu.
Für “Du Hast” wirft sich Richard in das damalige Touroutfit und die Band beginnt den Song in alter Tradition. Lindemann, Krupse und Landers mittig auf der Bühne. Der Song knallt richtig und es gibt kein Halten mehr. Weiterhin ist es absolut irre zu sehen, wie Till die Fans in den ersten Reihen regelrecht dirigiert. Der Song endet mit einem lauten Knall und Raketen fliegen von der Bühne Richtung Boxentürme und zurück, extrem eindrucksvoll.
Kaum ist die Sonne komplett untergegangen, legen RAMMSTEIN mit “Sonne” los und feuern ein Pyro-Feuer der Spitzenklasse ab, so etwas hab ich noch nicht gesehen und kann es kaum glauben. Passend zum Takt und dem Runterzählen feuert es aus allen Rohren. Die ersten Takte singt zudem das Publikum gänzlich alleine mit, so gesehen eigentlich der Höhepunkt des Abends, der keine Fragen offenlässt. Die Band verabschiedet sich anschließend und bevor der Zugaben-Block beginnt, werden die Kameras auf das Publikum gerichtet.
Das hat zur Folge, dass verschiedene Fans auf der großen Leinwand zu sehen sind, und nun entwickelt sich ein sehr interessanter und spaßiger Zeitvertreib. Ist ein Kind oder eine Frau zu sehen, jubelt das Stadion, ist ein männlicher Fan zu sehen, gibt es zumeist laute Buh-Rufe. Es ist nicht nur unterhaltsam, sondern hat zusätzlich den sehr coolen Effekt, dass sich das Publikum und die Fans einmal mehr mit einbezogen fühlen. Ein sehr gelungener Gag.
Der Spaß endet, als die ersten Töne der Piano-Version von “Engel” von der B-Stage erklingen. Dort hat sich in der Zwischenzeit die gesamte Band versammelt und bringt zusammen mit ABÉLARD eine ganz besondere Version von “Engel” zum Besten. Dabei bietet sich auch im Zuschauerraum ein malerisches Bild, da jeder entweder Feuerzeuge oder Handys zum Leuchten bringt. Das malerische Bild werde ich so schnell nicht vergessen, auch wenn ich Tills Engel-Outfit schmerzlich vermisse. Nach der Nummer begibt sich die Band (bis auf Till) mittels drei Schlauchbooten zurück auf die Hauptbühne. Dabei hat sich auch ein kleines Mädchen im Schneewittchen-Outfit mit aufs Boot geschlichen, das neben der Band von Till auf der Bühne empfangen wird.
Die Band legt anschließend sehr druckvoll mit ihrem Song “Ausländer” los und startet damit zum großen Finale des Abends. Die Nummer kommt gut an und wird gewohnt zuverlässig und laut vom Publikum mitgesungen. Welchen Stellenwert genau dieser Song in unserer momentanen, politisch aufgeheizten Lage hat, ist hoffentlich jedem bewusst und einmal mehr sollte man der Band hier ein großes Lob aussprechen. Erstens, dass sie den Song überhaupt spielen und zweitens, dass sie damit auf ein sehr brisantes Thema hinweisen. Wer sich das Video angesehen hat, wird sicherlich wissen, auf was ich hinaus möchte. Richard rückt am Schluss des Songs in den Fokus, bevor die Bühne in grünem Licht erstrahlt und der Klassiker “Du riechst so gut” eingeleitet wird. Zwar habe ich den Feuer-Engel vermisst, doch dafür bekommen wir nun Till mit einer anderen Art Flammenspiel zu sehen. Die Band marschiert gemeinsam im Takt auf und ab und mir wird einmal mehr bewusst, wie viele extrem coole Songs die Band noch im Repertoire hat.
Beim anschließenden “Pussy” wird die kurzzeitig ausgelassene Penis-Schaumkanone wieder ausgepackt und dem Publikum in der Feuerzone ein wenig Abkühlung beschert. Auch diese Nummer ist weiterhin sehr druckvoll und hat sich fest im Live-Set der Band etabliert. Auch wenn ich persönlich lieber “Feuer Frei” gehört hätte, frisst das Publikum der Band logischerweise auch bei “Pussy” aus der Hand.
Extrem gelungen ist anschließend auch “Ich will”, der nach wie vor eine klare Botschaft mit sich bringt und wohl mit zu einem der besten Live-Songs aller Zeiten gehören dürfte. So gut wie Till ihn zudem inszeniert, kann es kein Zweiter. Die Band will, das Publikum will, und ich will. Wir bewegen uns weiter auf die Zielgerade zu, und die Band spielt mit “Rammstein” einen weiteren umstrittenen Song, der aber seit Jahren zu meinen Favoriten zählt. Die Düsterheit, die Flammengitarren von Paul und Richard und der Flammenrucksack von Till Lindemann sind einfach unfassbar und bieten einen wahnsinnigen Showeffekt passend zum brachialen Rhythmus des Songs. “Sonne” war nicht der letzte Peak des Höhepunktes an diesem Abend, ich muss mich selbst korrigieren, “Rammstein” ist es.
Die Band verabschiedet sich anschließend passenderweise mit “Adieu”, und auch diese Nummer bringt live eine unfassbare Energie auf. Erneut zünden Pyros und die Band verabschiedet sich ausladend von ihrem Publikum. Es ist 22:50 Uhr und ich bewege mich Richtung Ausgang, verlasse das Stadion und lasse den Abend Revue passieren. So viele Kontroverse gab es um die Band und dabei ist sie schlussendlich eine der besten Livebands, die ich kenne, das hat sie an diesem Abend erneut unter Beweis gestellt, auch wenn sie hierfür nichts zu beweisen haben. Die Band ist mit Leib und Seele weiterhin dabei und geht viel mehr auf Tuchfühlung mit dem Publikum als vor einigen Jahren. Sie wirken noch immer auf mich wie eine Einheit, eine Band, die es nun einmal mehr den Leuten zeigen will. Wie schon damals mit “Links 2,3,4”, als sie zu Unrecht als “Rechte” Band markiert wurden, und wie immer provoziert die Band auch weiterhin. Doch genau das macht auch einen großen Teil von RAMMSTEIN aus, und irgendwie ist es auch verdammt gut zu wissen, dass sie das weiterhin tun. Denn wie Flake schon einmal passend in einem Interview formulierte, will die Band die Leute in Bewegung bringen und nicht einfach nur schockieren. Das gelingt meines Erachtens auf ganzer Linie, und wer live bisher noch kein Auge auf die Band werfen konnte, dem kann ich es nur wärmstens empfehlen. Auch wenn vieles inzwischen einen gewissen “Event”-Charakter hat, ist die Band und ihre Musik das Gleiche geblieben, und dieser zweite von drei ausverkauften Abenden in Frankfurt wird mir gewiss lange in Erinnerung bleiben. (Pascal)
Ein ganz großes Dankeschön an Tom, Christiane, Jutta und natürlich die MCT Agentur, dass wir die Möglichkeit bekommen haben, von diesem Konzert zu berichten.
Setlist RAMMSTEIN:
Ramm 4
Links 2-3-4
Keine Lust
Sehnsucht
Asche zu Asche
Mein Herz brennt
Puppe
Wiener Blut
Zeit
Deutschland [Remix by Richard Z. Kruspe]
Deutschland
Radio
Mein Teil
Du hast
Sonne
Engel (B-Stage)
Ausländer
Du riechst so gut
Pussy
Ich will
Rammstein
Adieu
(Fotos: Alex)
Rammstein (Fotos: Alex)