Tutl – DIE Institution für färöische Musik - Deutsche Version

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Alles begann in den 70ern. Interessanterweise begann man als Label und das Geschäft kam erst später. In den 90ern gab es drei oder vier Plattenläden in Tórshavn. Der Tutl-Laden befand sich damals im Einkaufszentrum SMS, aber, wie Kristian lachend erzählt: „sie warfen uns aus dem Einkaufszentrum, weil wir zu lange Haare hatten“. Also zogen sie in die jetzigen Räume am Káta Hornið. Bis in die 90er war Musik von den Färöern auf wenige Genres beschränkt, aber dann „gab es vulkanische Eruptionen aus den Kellern“. Auf einmal entwickelten sich viele Bands in allen Genres. Metal, Pop, Folk, Klassik, „Dorf-Pop“, wie Kristian es nennt, einfach alles. Außer Reggae. „Wir haben keinen Reggae hier, weil wir keine Palmen haben“. Die bekanntesten Bands der Inseln sind EIVØR, TEITUR, TÝR und HAMFERÐ.

Nach 2000 explodierte die Färöische Musikszene. Färöische Bands touren so viel, dass Kristian den Überblick verloren hat, wo sie gerade sind. Sie spielen einfach überall, von Sibirien über Amerika bis Australien. Er selbst wird nächstes Jahr noch in Tahiti spielen.

Kristian ist nicht Eigentümer des Labels. „Wir sind sozusagen alle Eigentümer“, gibt er an. 65% des Labels sind in Besitz der Musiker, der Rest gehört Investoren. Die Leute, die für Tutl arbeiten, werden durch den Prozentsatz finanziert, den die Musiker dem Label zahlen, aber auch durch Spenden von Versicherungsgesellschaften, Investoren und dem Investmentfond der Regierung, der verwendet wird, um färöische Musik im Ausland zu promoten. Das begann vor sieben Jahren und es zahlte sich aus. Sie arbeiten mit factory92 aus Hamburg zusammen, die ihnen auf vielfältige Weise helfen. Eine davon ist, den Musikern zu sagen wenn sie nicht gut genug sind. Tutl weist nie einen färöischen Künstler zurück. Manchmal beraten sie sie, wenn etwas mal nicht so gut ist, aber sie weisen niemals jemanden zurück, denn „auch wenn etwas beim ersten Mal nicht so gut ist kann es sich noch zu etwas entwickeln“. Aber sie schicken Pakete zu factory92 und die sagen klipp und klar, wenn etwas nicht gut genug ist. „Wir hätten niemals den Mut, das unseren Musikern zu sagen, deshalb ist es gut, dass wir sie [factory92] haben“.

interview tutl 03Es gibt keine echte Konkurrenz auf den Färöern, da Tutl mehr oder weniger das einzige Label auf den Inseln ist. Es gibt ein paar Künstler, die ihre eigenen Label betreiben, aber nur, um ihre eigene Musik zu veröffentlichen. Sie nehmen keine anderen Künstler unter Vertrag. Und Tutl? Nehmen die auch andere Künstler, außer färöischen, unter Vertrag? Kristian erzählt, dass, je bekannter Tutl in der Welt wird, desto mehr Anfragen bekommen sie. Aber sie müssen die meisten ablehnen, da man sehr viel Energie in die Promotion z.B. eines Popalbums stecken muss und die Politik von Tutl ist es, ihre Energie auf färöischen Künstler zu konzentrieren. Eine Ausnahme bilden Folk und Klassik. Manchmal akzeptieren sie diese Künstler, denn Folk und Klassik sind in ihren Heimatländern meist Selbstläufer. Und als Bonus können sie noch das ein oder andere Album im Tutl-Shop verkaufen. Sie haben auch schon Alben in den Genres Weltmusik und Jazz aus anderen Ländern veröffentlicht.

Der Tutl-Laden begann natürlich mit dem Verkauf von Schallplatten. In den 90ern empfahl ihnen jemand, auf CD umzusteigen, aber sie wollten keine CDs verkaufen, weil sie glaubten, dass die schnell wieder aus der Mode geraten würden. Aber die Dinge änderten sich schnell in den 90ern und nur ein halbes Jahr später hatten sie dann doch CDs im Angebot und Vinyl verschwand. Heute ist der digitale Markt sehr, sehr viel wichtiger geworden. Aus irgendeinem Grund wurde der Komponist Sunleif Rasmussen von spotify zum „Komponist der Woche“ gekürt – was dazu führte, dass tausende Menschen seine Musik hörten, was auch Tutl und seine Musik in den Fokus der Aufmerksamkeit rückte. Es ist also nicht alles schlecht im digitalen Zeitalter. Heute hat Tutl so große Einnahmen durch Streaming, dass sie drei Leute davon bezahlen können.

Und es gibt auch einige Alben bei Tutl, die nur digital erscheinen. Ich fragte Kristian warum und er gab eine logische Antwort: Künstler, die nicht touren, vor allem nicht im Ausland, veröffentlichen ihre Alben oft nur digital. Sie wissen, dass sie auf den Färöern wahrscheinlich nur 50-100 Alben verkaufen könnten. Viele Künstler, die sich entscheiden, ihr Album auf CD zu veröffentlichen wollen nur 300 Stück, aber Tutl bestellt meistens 1000, da es ohnehin das gleiche kostet. Wenn ein Album auf Vinyl veröffentlicht wird, machen sie meistens 300 bis 500, manchmal auch nur 100. Apropos Vinyl: Nachdem es vollständig verschwunden war, feiert es seit einigen Jahren sein Comeback. Es gibt keine Vinylpresse auf den Färöern, daher arbeitet Tutl mit Discard, das von einem Deutschen, der in Kopenhagen lebt, betrieben wird und Sonopress in Deutschland zusammen. Rein monetär halten sich die Verkäufe von Vinyl und CD derzeit die Waage.

Was auf den Färöern auch speziell ist: Sponsoring. Es ist absolut üblich, dass lokale Unternehmen Musiker unterstützen. Wie Kristian sagt: Die Leute aus den Dörfern sind besser dran. In den Dörfern gibt es große Unternehmen und die unterstützen gerne die Ortsansässigen. In Tórshavn dagegen ist es nicht so einfach, Sponsoren zu finden, ganz einfach weil es hier so viele Menschen gibt, die Unterstützung brauchen oder wollen. Kristian findet das etwas seltsam, aber so ist es eben. Kristian Blak hat eine Art, Geschichten auf die unterhaltsamste Art und Weise zu erzählen und obwohl er fast eine Stunde gesprochen hat würden wir ihm gerne noch länger zuhören. Aber er meint lachend: „Ich glaube, ich habe genug geredet!“.



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Ein paar Tage bevor wir den Tutl-Laden besucht haben, mache ich ein spontanes Treffen mit Kristian Blak für ein Interview aus. Wir begeben uns also zur Blábar, einer schönen gemütlichen Bar im Stadtzentrum, die sich dem Jazz und dem Blues verschrieben hat. Also falls ihr auf diese Musikrichtungen steht, schaut einfach mal in der Blábar vorbei, wenn ihr in der Stadt seid. Wir hören der Musik zu, trinken ein Bier und ich stelle meine Fragen. Ich dachte, es würde ein kurzes Interview werden, da ich keine Zeit hatte, mich wirklich vorzubereiten, aber es stellte sich heraus, dass man mit Kristian Blak kein kurzes Interview führen kann.

Anne: Du musst wissen, dass meine Leser so gut wie nichts über die Färöer wissen. Also kannst du dich vielleicht kurz selbst vorstellen? Du stammst ja nicht von den Färöern, sondern bist vor geraumer Zeit hierher gezogen. Vielleicht kannst du einfach dort beginnen.

Kristian: Mein Name ist Kristian Blak, ich lebe auf den Färöern, wo ich als Komponist und Musikorganisator arbeite. Ich bin in Dänemark geboren, was auf eine gewisse Weise weit weg von den Färöern ist – auch kulturell. Die Färöer haben ihre eigene Sprache, verwandt mit anderen Sprachen der nordischen Länder, aber auf jeden Fall so eigenständig, dass die Menschen aus Norwegen, Island, Dänemark nicht verstehen, was wir sagen. Aber wie auch immer, ich kam vor 45 Jahren hierher und ich mag das Land selbst, die Landschaft, das Meer… das ist der Hauptgrund, warum ich herkam, aber die Kultur war mindestens genauso herausfordernd und auch unterhaltsam, sozusagen. Es hat immer Spaß gemacht etwas zu tun und wir organisierten Jazzclubs und Label in den 70ern, es war eine sehr, sehr anspruchsvolle Zeit. Gerade heute Abend hatten wir ein Treffen der Musikervereinigung und es ist jetzt fast 40 Jahre her, dass wir die gegründet haben. Es war eine Zeit, in der wir begannen, das zu organisieren, was schon 100 Jahre, oder, zu der Zeit, 50, 60 Jahre vorher in anderen skandinavischen Ländern organisiert wurde.

Anne: Gab es so etwas wie einen Zeitpunkt, an dem du einfach entschieden hast, dass dieses Land ein Label braucht, oder hat sich das mit der Zeit entwickelt?

interview tutl 02Kristian: Wir haben dieses Kind nicht geplant, um es mal so zu sagen. Es war ein Teil des Jazzclubs. Der Jazzclub ist eine Vereinigung von Leuten, die gerne Livemusik wie Jazz, Folk und Rock, auch Beat hören. Wir begannen 1975 und wir dachten, es wäre interessant, LPs zu machen. Wir machten 3 LPs mit Musik, die im Club gespielt wurde. Es gab keine wirkliche künstlerische Idee dahinter, es ging mehr darum, dass Zusammenspiel von auswärtigen Künstlern mit den färöischen zu dokumentieren und damit hat das Label begonnen bevor es überhaupt ein Label war. Zusammen mit ein paar Folkbands in denen ich spielte hatten wir nach 2 Jahren 10 LPs aufgenommen und der Jazzclub fand, dass es nicht wirklich gut war, ein Jazzclub Label zu haben. Es war viel besser, es offener und mit eigenem Charakter zu machen und eine von den Vorstandsmitgliedern hatte schon einen Namen. Sie sagte: „Ich habe einen Namen dafür, der ist Tutl [Tutl bedeutet flüstern, wispern, plaudern]“. „Oh ja“, sagten wir, „das ist es!“. Das war zwei Jahre nachdem wir angefangen hatten. Wir hatten sozusagen zwei Jahre lang ein Kind ohne Namen. Wir begannen 1977, die ersten Aufnahmen wurden gemacht und von da an in den ersten Jahren vor allem Folk und Jazz, denn es gab noch zwei andere Label. Eines, das sich mehr auf Rock konzentrierte, und eines mit Popmusik. Wir füllten die Lücke, bezogen auf die Genres. Und ziemlich viele Jahre später, in den späten 80ern haben wir auch mit klassischen Aufnahmen begonnen aber in den 90ern begannen einige Rockbands, ihre eigene Musik zu schreiben. Und das hat sich in den 90ern enorm entwickelt. Von 1992 an, als wir unsere ersten Rockbands unter Vertrag nahmen. In Zahlen machen heute Indie, Singer/Songwriter, Rock und Metal mehr aus als die Genres, die das Label ursprünglich begründet hatten. Aber alle Sparten sind lebendig, es gibt keine Stilrichtung, die ausstirbt, im Gegenteil, es entwickelt sich. Alle Genres. Aber am größten war die Entwicklung ab den 90ern. Alles ändert sich im Musikbusiness, aber wir reisen nicht viel in der Welt herum um zu präsentieren, was wir auf den Färöern geschaffen haben. Das habe vor allem ich gemacht in den ersten Jahren, aber jetzt haben wir ein viel größeres Team und arbeiten auch seit 10 Jahren mit factory92 in Hamburg zusammen. Und es gibt noch mehr Aktivitäten. Aber es ist ein weites Feld, für so eine kleine Gemeinschaft ist es eine unheimliche Bandbreite.

Anne: Und du hast auch diese Art Festival, das Summartónar, eingeführt. Wann hattest du die Idee, das zu machen?

Kristian: Zunächst muss ich sagen, dass klassische Komposition, so wie das erste Stück, das du heute Abend gehört hast [wir hatten früher am Abend ein klassisches Konzert besucht] – das ist so neu auf den Färöern, dass noch keiner von uns tot ist (lacht). Wir haben damit erst in den 80ern begonnen. Sunleif [Rasmussen], ich und Pauli [í Sandagerði], der zurzeit in Dänemark wohnt, wir begannen 1984. Davor gab es das nur sporadisch. Und das sind sehr wenige Jahre. Aber in diesen Jahren haben wir ein Repertoire entwickelt und so viele Kompositionen, dass wir nun viele Festivals und viele Musikprogramme mit unseren eigenen Kompositionen füllen können. Nachdem das gesagt ist; wir wurden eingeladen, auf einem Festival auf den Orkneys zu spielen, es wird Magnus-Festival, nach der Kathedrale, genannt und das lief mit Maxwell-Davis-Kompositionen schon seit den 70ern. Es gab es bereits seit 15 Jahren. Wir waren 1991 dort und als wir zurückkamen sagten wir uns, dass wir das gleiche hier machen könnten. Sie haben dort auch nur die Bevölkerungszahl wie wir auf den Färöern, also könnten wir das gleiche machen. Und sie haben nicht die gleiche Anzahl an Komponisten. Es war mehr klassisch. Das klassische klassisch. Beethoven, Bach und so weiter. Also veranstalteten wir das erste Summartónar 1992 und es entwickelte sich. Jetzt sind es jedes Jahr 150 Konzerte über den Sommer verteilt. Es ist ein ziemlicher organisatorischer Aufwand, aber es ist auch sehr nutzbringend, denn alle Konzerte beinhalten färöische Musik. Nicht nur ein Stück, sondern die Hälfte des Programms. Und niemand würde das für uns machen, von daher ist es auch eine sehr gute Plattform für uns und für alle Musiker, die nicht unbedingt ihre eigene Musik spielen müssen. Von 1992 bis 2004 war es klassische Musik.

Anne: Nur klassische Musik?

Kristian: Ja. Einfach weil es ein Jazzfestival gab. Und parallel dazu ein Folkfestival. Es gab einfach keine Notwendigkeit, sie zu vermischen. Aber 2004 zog der Organisator des Jazzfestivals weg, das bis dahin 20 Jahre lang Bestand hatte. So hörte es auf und wir versuchten im ersten Jahr etwas Ähnliches auf die Beine zu stellen, aber dann haben wir uns angesehen und sagten uns: „Wir sind dieselben Leute, die zwei verschiedene Dinge tun – lasst es uns zusammenlegen!“ Denn Jazz und neuer Folk haben eine Menge mit klassischer Musik zu tun, aus kompositorischer Sicht. Und jetzt ist es ungefähr 50/50 rhythmische Musik aber wir haben immer noch keinen Standardjazz, der gespielt wird. Es ist nicht so, dass wir es nicht mögen würden, aber das ist nicht unsere Aufgabe. Das können andere machen. Und es gibt jedes Jahr einen Ausschuss der Komponistenvereinigung. Ich bin Vorsitzender der Komponistenvereinigung. Ich kann auch helfen, mit Komponisten in Kontakt zu treten. Und wir müssen mindestens ein Jahr im Voraus planen, denn es dauert natürlich seine Zeit, Kompositionen zu entwickeln.

 


"Ich denke, das ist ein Privileg, nicht in der Lage zu sein sich zur Ruhe zu setzen"


 

Anne: Und du organisierst auch diese Konzerte in Höhlen auf Hestur. Wie hat das begonnen und wie hast du überhaupt herausgefunden, dass man Konzerte in diesen Höhlen spielen kann?

Kristian: Ja, das ist sozusagen zum größten Teil meine Idee. Ich habe das nicht wirklich erfunden, aber in den ersten Jahren mit YGGDRASIL, 1982 und 1983, habe ich Geräusche aus der Natur verwendet. Rabenschreie (macht verblüffende echt klingende Rabenschreie nach), Flüsse, das Meer, Wind und fallende Steine. Das ist ein durchgängiger Teil der Performance. Wir mussten Kassettenrekorder benutzen. Also war die Konsequenz sozusagen, hinaus in die Natur zu gehen, wo die Geräusche waren. Und einer meiner Freunde sagte „Ich kenne eine Höhle, von der ich denke, dass du dort Konzerte geben solltest. Dann hättest du das“. Und er zeigte uns die Höhle und ich nahm es 1984 ins Programm auf. Es war in Sandur auf Sandoy. Es gibt eine Höhle zwischen Sandur und den Bergen. Man fährt quasi über die Höhle, sie ist unter der Straße, grade an der Ecke. Das war sehr, sehr kompliziert. Wir hatten sieben Musiker, ein Aufnahmesystem und Gepäck, das sehr, sehr schwer war und die Böschung war so steil (er zeigt, wie steil es war – sehr steil). Aber die meisten von uns waren relativ jung und fit genug, das zu machen. Und es lief wirklich gut, es wurde aufgenommen, es ist eine LP. Aber obwohl es ein Erfolg sowohl auf musikalischer Seite als auch für die Zuschauer war, hatte ich nicht vor, das zu wiederholen, weil es einfach ein zu großer Aufwand war. Aber ein Bauer auf der anderen Seite der Insel sagte: „Ihr müsst kommen und auch in meiner Höhle spielen!“, denn die Legende besagt, dass die Höhle, in der wir gespielt hatten, ein Loch hat und einmal unter der Insel durchgeht bis zur anderen Seite. Also sagten wir ja, wir würden dort spielen. Diese Höhle hat keine Akustik, sie ist viel offener. Es ist trotzdem sehr schön, Seehunde kommen vorbei und hören zu, aber der Kapitän des Bootes – wir sind mit dem Boot hingefahren, es gibt keine Straße, die dort hinführt - er sagte: „Ich kenne Höhlen, in die ihr viel besseren Zugang habt, ihr könnt mit dem Boot reinfahren!“ Er wollte sie mir zeigen. Das war viel später. Es fühlt sich an, als sei es in der gleichen Zeit gewesen, aber tatsächlich war es 12 Jahre später. 1996. Und als wir hineinkamen konnte ich sofort diesen Gänsehaut erzeugenden Sound hören, der irgendwie im Raum verweilte, wie in einer riesigen Kathedrale. Und dieser Tag damals war ein perfekter Tag. Wenn die See ruhig ist und der Ozean wie ein Spiegel da liegt, dann reflektiert er auch wie ein Spiegel. Wenn es Wellen gibt, wird es etwas anders. Anders, aber auch gut. Wir entwickelten das im nächsten Jahr mit relativ vielen Konzerten. Und obwohl wir immer nur 50 Leute auf einmal mitnehmen können waren weit mehr als 10.000 Leute da drin. Es ist schon 5-10 Jahre her, dass wir die 10.000 erreicht haben müssen. Jetzt machen wir jedes Jahr im Sommer zwei Konzerte pro Woche, donnerstags und sonntags, den ganzen Sommer lang. Manchmal können wir nicht in die Höhlen reinfahren aufgrund der Wetterbedingungen.

Anne: Was macht ihr dann stattdessen?

Kristian: Wir fahren mit einem Schoner raus, einem alten Schiff, und dieser Schoner hat ein paar Motorboote, die eine ganze Anzahl an Passagieren aufnehmen können. Sichere Boote. Die fahren ungefähr 150 m tief in die Höhle und dort gibt es ein weiteres kleines Boot mit den Musikern darin. Normalerweise nur eins. Die Bedingungen in der Höhle sind nicht optimal für zu viele Musiker, weil sich dann die Töne vermischen und der Klang kann sehr intensiv werden. Die Musiker müssen anders spielen als in einem Jazzclub. Man darf nicht direkt reagieren, sondern man muss warten, bis der Schall auch reagiert. Aber das ist die Art und Weise, wie wir es tun, die Zuschauer sitzen dann da und hören zu wie bei anderen Konzerten auch. Aber keiner der Trips ist wie der andere. Alle sind etwas unterschiedlich und die Musiker und jeder muss darauf bedacht sein, das richtige herauszufinden. Wenn der Wind von Westen kommt ist es in der Regel nicht möglich, nach Hestur zu fahren. Es gibt eine nach Osten ausgerichtete Höhle auf Nólsoy, dann fahren wir dorthin. Es gibt auch andere Höhlen, tatsächlich gibt es viele andere Höhlen, aber sie sind zu weit weg und wir können die Konzerte nicht einfach ein paar Tage vorher ankündigen. Es muss lange vorher geplant werden. Wir machen es also einfach und nehmen das Risiko in Kauf, dass es nicht möglich ist. Letztes Jahr waren es nur 2 von 18, glaube ich, die nicht geklappt haben. Man kann immer etwas machen. Regen macht überhaupt nichts aus. Es ist nur der Wind und der Wellengang.

interview tutl 06Anne: Ich möchte dieses Jahr eines besuchen, ich hoffe, es klappt. Und jetzt ändern wir das Thema komplett: Wenn man bei Tutl eine CD bestellt, kommt das Paket mit jede Menge Briefmarken drauf an. Das ist heutzutage nicht normal. Normalerweise bekommt man ein Paket und das war es dann. Ohne Briefmarken. Aber wenn man bei euch bestellt, sind immer schöne Briefmarken drauf.

Kristian: Wir haben jede Menge Briefmarken für diesen Zweck gekauft. Und ich finde das auch malerisch und interessant für die Kunden, wenn sie echte Briefmarken bekommen anstatt Maschinenausdrucken. Wir machen das. Es ist nicht, weil wir primitiv sind, sondern das passiert mit Absicht.

Anne: Nein, nein, ich finde das cool. Ich mag es wirklich. Es ist nur ungewöhnlich für die heutige Zeit.

Kristian: Ja, das ist wirklich selten, dass man das hat. Wenn ich Post von meinen Verwandten bekomme, da sind auch immer viele Briefmarken drauf. Vielleicht habe ich das daher.

Anne: Ich finde es schön.

Kristian: Ja, und gleichzeitig kostet es uns nicht mehr. Und es gibt dem Empfänger noch mehr eine Idee von den Färöern. Visuell, meine ich. Und einige sammeln Briefmarken, die können sie auch gut gebrauchen.

Anne: Und eine letzte Frage: Ich hoffe, du fühlst dich jetzt nicht angegriffen, aber du bist ja nicht mehr der Jüngste. Hast du schon mal darüber nachgedacht, dich zur Ruhe zu setzen?

Kristian: Ich habe mich schon ein paar Mal zur Ruhe gesetzt. Also, von dem, was ich gemacht habe. Ich war Lehrer am Gymnasium. Das endete 1998. Ich begann, andere Länder zu besuchen um die färöische Musik zu promoten, und das war mit diesen Verpflichtungen nicht möglich. Ich meine, alles war möglich, aber ich wollte die Dinge nicht nur zu 50 % machen, ich wollte alles hineinstecken. Also habe ich mich von meinem Job zur Ruhe gesetzt. Aber tatsächlich war ich mehr und mehr in die Musik involviert. Und ich versuche, mich von verschiedenen Positionen zurückzuziehen. Heute Abend bin ich vom Komitee der Musikervereinigung zurückgetreten. Ich laufe nicht weg, ich mache immer noch ihre Buchhaltung, das bleibt. Also das ist zur Ruhe setzen, aber eigentlich bedeutet das nicht, nichts zu tun, sondern ich mache das, weil ich mehr Zeit zum Touren brauche. Ich spiele viele Tourneen im Ausland und ich brauche Zeit, um Musik zu schreiben. Ich möchte gerne Konzerte schreiben. Und dafür braucht man eine gewisse Zeit. Aber ich glaube, das ist das Privileg, das Künstler haben und das man am Leben halten sollte. Ich kenne nur Künstler, die sich zur Ruhe setzen, wenn sie krank sind (lacht), oder vielleicht wenn sie sich selbst leid sind. Ich meine, wenn du spürst, dass du dich selbst wiederholst, dann ist das eine Herausforderung. Im Moment wiederhole ich mich gerade selbst, aber auf eine positive Weise. YGGDRASIL wird im Laufe des nächsten Jahres die ganze Musik der 80er wieder spielen. Wir werden Konzerte nur mit dieser Musik spielen und das ist ganz schön viel Arbeit, aber es liegt hier schon eine lange Zeit herum und niemand anderes – das stimmt nicht – aber fast niemand anderes würde das spielen, weil diese Suiten und diese langen Kompositionen sehr persönlich sind. Ich meine damit, sie sind für spezielle Musiker gemacht. Aber ich denke, das ist ein Privileg, nicht in der Lage zu sein, sich zur Ruhe zu setzen (lacht).

Anne: Tourt ihr auch in Deutschland?

Kristian: Es hat sich ein wenig geändert. Ich weiß, dass zumindest in Schweden und Deutschland die Kultureinrichtungen nicht mehr so viel Geld haben um Musikergagen zu bezahlen. Von daher ist es nicht einfach. Nichts ist einfach, aber YGGDRASIL spielte jedes Jahr eine Woche in Deutschland. Seit 2004 meine ich. Aber nicht letztes Jahr. Weil diese Institutionen, Jazzclubs, Musikvereine (er benutzt das deutsche Wort], sie haben ein gewisses Budget und sie können ein oder zwei Konzerte im Jahr veranstalten, aber keine zehn, wie sie es früher konnten, so wie ich es verstanden habe. Und die Orte an denen wir am häufigsten gespielt haben sind Passau und Tübingen und einige Städte dort in der Gegend. Ich weiß nicht, ob du Helmut Wilhelm kennst? Wahrscheinlich nicht.

Anne: Nein.

Kristian: Er ist ein Augenarzt, ein Professor. Aber kommt ziemlich oft hierher und ohne dass wir uns kannten hat er mich gefragt, ob es möglich wäre, uns in das Krankenhaus einzuladen um dort Konzerte zu spielen. Weil er diese Art von Musik an der Tübinger medizinischen Fakultät organisiert. Also spielten wir in der Augenklinik [er benutzt wieder das deutsche Wort]. Dort war nicht genug Platz, deshalb gingen wir rüber in die Zahnklinik (lacht). Zahnarztjazz… Aber wir spielten dort viele Male mit seiner Hilfe und auch in der Nachbarstadt und in Norddeutschland. Wir haben eine Einladung und wir wollen eine Tour im Januar machen, aber ich habe mich noch gar nicht darum gekümmert, von daher weiß es noch keiner, aber das ist der interessante Part an der Idee, ein reisender Musiker zu sein, man muss ein Jahr im Voraus planen. Und dann passiert manchmal etwas Unerwartetes und man bekommt Einladungen und es kann etwas seltsam werden. Dieses Jahr begann ich mit fast nichts. Ich wollte vor allem auf den Färöern spielen, aber im April gehen wir nach Amerika. Das ist eine Folktour, nicht wirklich eine konzeptionelle Tour, aber es ist Musik. Dann nach Estland, dann spielen wir im Mai in Italien, dann ist da jede Menge Summartónar und nach dem Sommer haben wir Konzerte in Trondheim. Und in Russland, in Sibirien. Und nächstes Jahr planen wir, nach Tahiti zu fahren. Wo waren wir nicht schon? Und ich wollte immer gerne Tahiti sehen, aber ich gehe nie irgendwohin ohne den Bezug zur Musik. Einfach – nicht einfach, aber hauptsächlich weil es viel mehr – man trifft Leute auf eine sehr, sehr unterschiedliche Weise, wenn man in künstlerischer Mission anreist. Und wir integrieren auch gerne Musiker, die vor Ort leben. Nicht, weil es die Musik besser macht, aber es schafft eine Verbindung zum Publikum. Das ist kein kommerzieller Hintergedanke, es gibt einem einfach sehr viel zurück. Es ist sehr interessant, das zu tun.

Anne: Ja, ich denke, das waren meine Fragen, es ist ein eher kurzes Interview. Danke, dass du dir die Zeit genommen hast!

Kristian: Gern geschehen!

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