Exhorder - Mourn The Southern Skies

Exhorder Mourn The Southern SkiesEs gibt Dinge im Leben, auf die man sich wahnsinnig freut, auch wenn man damit rechnen muss, enttäuscht zu werden. Man kann allerdings nur enttäuscht sein, wenn man zuvor mit etwas anderem gerechnet hat.
EXHORDER melden sich nach satten 26 Jahren Pause wieder in voller Pracht zurück, dieses Mal also nicht nur live, sondern sogar mit neuer Platte im Gepäck. Und diese wird bestimmt noch lange für Gesprächsstoff sorgen.

Nicht nur, dass zwischen dem zweiten und nun dritten Album ganze 27 Jahre liegen, sondern auch WAS in dieser langen Zeit dazwischen passiert ist. Während der ersten Reunion im Jahr 2013 verstarb Langzeitbasser Frank Sparcella unerwartet, danach folgten noch vereinzelte Gigs und Festivalauftritte mit Gastmusikern, bevor das scheinbar endgültige Aus anstand. Aber die Mission von EXHORDER war einfach noch nicht abgeschlossen, und so kam es endlich 2018 zu den ersten fixen Plänen, die sich in einer ausgedehnten Tour und einem neuen Album für 2019 manifestierten.

"Mourn The Southern Skies" ist wohl eines der am meisten erwarteten und gleichzeitig umstrittensten Alben des Jahres 2019. Darüber urteilen nun sowohl die neuen als auch die alten Fans. Deren Meinungen und Argumente unterscheiden sich wohl grundsätzlich in der Tatsache, EXHORDER zu Zeiten der beiden ersten Alben kennengelernt zu haben oder aber erst nach einigen Liveerfahrungen und dem nun neuen Album.
Für jemanden wie mich, der die beiden Neunziger-Jahre-Alben nach wie vor abgöttisch verehrt, ist nun das neue Werk eine wahrhaft echte Herausforderung.

Man kann sich schon denken, dass sich nach über einem Vierteljahrhundert ganz viel geändert hat, nicht nur in musikalischer, sondern auch in persönlicher Hinsicht. Keiner möchte auf der Stelle treten, keiner schottet sich von den modernen Strömungen der heutigen Musik ab. Anfang der Neunziger war man im Alter von durchschnittlich frischen 20 Lenzen froh, ein Studio wie das Morrisound entern zu dürfen, um seine giftigen Hasstiraden abschmettern zu können und gleichzeitig eines der brutalsten Thrashalben seiner Zeit hinzulegen. Und damit wären wir schon beim ersten Knackpunkt des neuen Albums - der Sound.

Keine Bange, auch ich gerate ins Schwärmen bei einer solch unglaublich druckvollen und gleichzeitig aggressiv und dennoch transparent klingenden Platte. Dieses Mal saß Duane Simoneaux an den Reglern, der in der letzten Zeit schon so einige Lorbeeren einheimsen konnte.
In der Zwischenzeit gab es schon einige Bands, die sich von dem brutalen Sound der brutalen Musik anstecken ließ, wie z.B. PANTERA oder MACHINE HEAD. Somit war dieser einzigartige Sound mit der Zeit gar nicht mehr so singulär.

Mittlerweile ist demnach ein brutaler Sound gar nicht mehr so eine Seltenheit, aber nach wie vor wird der Sound der beiden ersten EXHORDER-Alben nicht erreicht, auch nicht von "Mourn The Southern Skies". Dafür klingt die Produktion wesentlich ausgereifter und strukturierter. Man erinnert sich dabei an Bands wie späte EXODUS oder TESTAMENT, bleibt also im Vorbildsbereich der Bay Area. Stellt man sich die Songs im Gewand von vor 27 Jahren vor, bekommt man gleich eine Gänsehaut vor lauter Nostalgie. Aber dieses Vorhaben stand wohl nie zur Debatte, da man sich schon frühzeitig vornahm, den Livesound der Band einzufangen, der ihr bisher zum Erfolg verholfen hatte.

"Mourn The Southern Skies" startet mit dem bereits zuvor veröffentlichten Videotrack "My Time" und zeigt die Band aus New Orleans direkt von ihrer besten Seite. Hier sind wahrlich ausnahmslos große Talente am Werk, die nicht nur aberwitzige Songideen aufgreifen und umsetzen können, sondern auch im Zusammenspiel perfekt verzahnt sind. Es folgen einige Midtempokracher, die es zwar auch schon in den vergangenen Tagen mal gab, aber heute wie eine Hommage an den von Fans kreierten Begriff "Groove Metal" klingen.
Neben dem starken "My Time" ist definitiv "Beware The Wolf" mein absoluter Lieblingskillersong. Die Neuaufnahme des Demosongs "Ripping Flesh" mit Originaldrummerlegende Chris Nail lässt nochmal die Originalität der alten Tage aufblitzen,aber das Beste kommt eigentlich zum Schluss, wenn LaBella, Thomas und der Rest mit dem Titelsong zeigen, was sie 2019 darstellen: Perfekte musikalische Reife. Der bisher untypischste und episch lange doom-inspirierte Song, der auch locker von TROUBLE stammen könnte, hebt sich sehr deutlich vom Rest ab - insbesondere durch den Einsatz einer Hammond-Orgel - und zeigt, welch großartige Musiker sich hinter dem Namen, der vor über 35 Jahren das erste Mal ausgesprochen wurde, verbirgt. Kyle Thomas ist DIE Stimme. Als ich ihn damals bei TROUBLE live erlebte und danach noch mit ihm unter anderem über EXHORDER plauschen durfte, war ich wieder ein Fanboy im Twenalter, der mit einem seiner respektabelsten Helden schwatzen durfte, als kenne man sich schon ewig und der ihm Mut macht, noch einmal EXHORDER im Hier und Jetzt erleben zu dürfen. LaBella ist neben Montazeri einfach nur genial und kann seine Solokünste nach "Yesterday's Bones" am Ende des Albums nochmal vollends unter Beweis stellen. Groovemonster VieBrooks und Horn geben dabei immer ganz klar die Marschrichtung an, und die geht eigentlich immer nur nach vorne.

Und nun kommt der bittere Abschlusstropfen: EXHORDER haben ihr fortgeschrittenes Alter zum Positiven genutzt und einen Reifeprozess durchgemacht, der leider die alten Zeiten mitunter vermissen lässt. Keine aberwitzigen Floyd-Rose-Divebomb-Sologeschraddel mehr, kein berserkerartiger Kyle Thomas mehr, keine Verzerrung jenseits der Schmerzgrenze. Kyle singt gottgleich, die Gitarren sägen satt, der Bass ist sogar zu hören, und Sashas Drumming ist jenseits der Traumgrenze.
Die einst ruppig-rüde Bestie mit Fleischfetzen zwischen den Zähnen ist zu einem wunderschönen Biest geworden, das zwar nach wie vor sehr gefährlich ist und die Konkurrenz zusammenzucken lässt, aber leider dennoch an Eigenständigkeit eingebüßt hat über die Jahre. Eigentlich jammerschade, wenn man das von einem sehr überzeugenden Album sagen muss. Aber wer will auch schon zweimal das gleiche Album machen? Man kann ihnen zumindest nicht vorwerfen, dass sie über die Jahre ihr Kernelement aufgegeben haben. Letztlich bleibt aber immer noch ein komischer Geschmack im Maul, wenn man das Werk gleich mehrere Male verschlungen hat, und dieser geht auch so schnell nicht mehr weg. Ich zumindest bin hin- und hergerissen. Wer hätte das gedacht? (Jochen)


Bewertung:

Jochen7,5 7,5 / 10


Anzahl der Songs: 10
Spielzeit: 52:56 min
Label: Nuclear Blast
Veröffentlichungstermin: 20.09.2019

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