Runrig - The Last Dance - Farewell Concert

runrig thelastdanceEin Abschied fällt immer schwer, doch es beginnt das Zeitalter, in welchem Rockfans immer öfter Abschied von den alten Helden nehmen müssen. Alleine beim diesjährigen SwedenRock sah ich vier Bands, die ich wohl nie wieder sehen werde. Im letzten Jahr hat auch die schottische Folkrock-Institution ihren Hut genommen, ein Abschied, der von langer Hand vorbereitet war und dennoch eine Lücke hinterlässt, die nicht zu schließen ist. Und wer die schottische Sturheit kennt, der weiß dass es da keinen Rückzieher mehr gibt. Doch wie viele andere wollten sich RUNRIG noch von ihren Anhänger verabschieden und luden am 17. und 18. August 2018 für zwei Abende auf das Feld unterhalb des Stirling Castle, das jeweils mit 25.000 Leuten ausverkauft war. Der zweite Abend wurde mitgeschnitten, um uns ein letztes Geschenk mitzugeben, nachdem im Vorfeld auch die Archive geöffnet wurden. Kann "The Last Dance - Farewell Concert", von dem NECKBREAKER die DVD-Version vorlag den Schmerz lindern?

In einem recht bekannten Film nach einem recht bekannten Buch sagte König Theoden, dass wenn es das Ende bedeutet, man ein Ende vollbringen will an das man sich erinnert. Die tapferen Herzen der Schotten sind mit diejenigen, denen solche Heldentaten zuzutrauen sind und mit dem Anspruch, aber auch einer gewissen Anspannung gehen die Sechs auf die Bühne, um drei Stunden noch einmal alles zu geben. Sänger Bruce Guthro kündigt genau dieses nach ein paar Songs an, dass man einen letzten Tanz tanzen werde und fordert die Zuschauer auf mit zu tanzen, zu feiern und zu singen.
Und das tun sie aus voller Brust, nur ein kleiner Wink von ihm genügt und 25.000 Stimmen erheben sich zu einem gewaltigen Chor. Selbst bei den schwierigen gälischen Texten sind alle voll da, die Verbundenheit mit den Fans suchte in der 45-jährigen Karriere ohnehin ihresgleichen. Obwohl die Band nie Hits hatte, komplett am Mainstream vorbei ging, verkauften sich die Alben sehr gut und zu den Konzerten strömten Tausende. Wer einmal mit dem Virus RUNRIG infiziert war, der kam nie mehr davon los, oft ging die Liebe von Generation zu Generation über, wie in einer kurzen Dokumentation im Bonusmaterial beleuchtet wird.

Den Musikern ist es freilich nicht anzusehen, dass es das letzte Stelldichein werden würde, sie spielen ein Konzert mit einer unglaublichen Leidenschaft wie sie es unzählige Male zuvor getan hatten. Nach all den gemeinsamen Jahren sind die erfahrenen Herren absolut aufeinander eingespielt, da sitzt jeder Ton, alles kommt auf den Punkt genau und mit der richtigen Dosierung. Das Spiel mit der Dynamik beherrschen sie wie kaum eine andere Formation, was der Atmosphäre zu Gute kommt, welche die Songs tragen. Die Kommunikation unter einander ist ebenfalls fast blind, doch öfter ertappt man Guthro wie er seine Mitstreiter fast ein wenig tröstend umarmt. Das passt menschlich so gut und macht diese Truppe so authentisch, sicher auch ein Geheimnis ihres Erfolges. Von der Performance scheint jeder noch eine Schippe Spielfreude mehr drauf legen zu wollen, um jegliche Wehmut weg zu wischen.

Selbst bei ihrem letzten Auftritt gibt es keine Standards, gerne trifft sich die Formation auf der breiten Treppe vorm Schlagzeug, um genüsslich zu jammen. In "Book Of Golden Stories" hat man sogar eine zusätzliche Strophe über die Band eingebaut. Deren Geschichtsbuch ist voll mit goldenen Geschichten und an dem Abend fügten sie eine weitere hinzu. Ihr Sänger war stets gut gelaunt unterwegs und trieb die Menge noch weiter an, was es nicht bedurft hätte. Bilder wie ein Meer voll wogenden Armen die er bei "Proterra" fordert erzeugen eine Gänsehaut beim Betrachter. Dazu flimmern wie bei vielen anderen Liedern traumhafte Landschaftsaufnahmen der Highlands über die riesige LED-Wand, während Laura Mc Ghee an der Fidel noch ein paar Klangtupfer beisteuert. Am selben Instrument ist Duncan Chisholm zu hören, wenn er die herrliche Fanfare von "The Story" damit unterlegt.

Zu einem solchen Event hat man natürlich ein paar Gäste geladen, die sich auch gerne einbrachten. Dave Towers liefert das Saxophon von "Onar", Julie Fowlis singt schon wie bei der Neuaufnahme das Duett in "Somewhere" und Gary Innes lässt sein Akkordeon im schmissigen "Clash Of The Ash" aufheulen. Die große Überraschung gibt es bei "Cearcal A´ Chuain", neben dem Glasgow Islay Chor steht tatsächlich Originalsänger Donnie Munro noch einmal auf der Bühne. Andere Stücke werden ebenfalls umarrangiert, der gute Bruce bietet "Year Of The Flood" nur mit der Akustischen unheimlich eindringlich dar. Und Keyboarder Brian Hurren wird zu "In Search Of Angels" nur von Malcolm Jones begleitet. Wie es mit dem jüngsten Bandmitglied weiter geht, weiß keiner, aber auf dem letzten Longplayer machte er als Produzent so eine gute Figur, dass er wohl in die Richtung weiter machen wird.

Als zweiter Hauptvokalist war ja schon immer Bassist Rory McDonald dabei, dessen hohe flehende Stimme sich ideal mit dem klassischen Rocktimbre Guthros ergänzt. Er nimmt der Hauptstimme auch einige Ansagen ab, in denen er noch einmal die Bedeutung reflektiert. Wenn es dann draum geht, die Zuschauer so richtig in Fahrt zu bringen ist natürlich der Kanadier der Formation zur Stelle, großartig wie er im Regen bei "Maymorning" draußen auf dem Steg den manischen Frontmann gibt und die Leute ihm bereitwillig folgen. Oft wechselt die Stimmung zwischen den euphorischen Folkschunklern, rockigen Hymnen und sphärischen Titeln. Damit verkörperten RUNRIG stets die schottische Seele, die von Lebensfreude ebenso wie Melancholie geprägt ist, nur wenige Künstler verstanden das so gut zu artikulieren.

Hinten gibt Iain Bayne kraftvoll den Takt vor und lässt auch mal die Stöcke schön schwingen, weiß dabei aber immer sein Spiel genau zu dosieren. Gerade bei den Schlussakkorden wird er Dreh - und Angelpunkt des Geschehens und zählt auch das Grundthema ab und an ein weiteres Mal ein. Nicht zu vergessen auch Rorys Bruder Calum, der mit seinen Percussions den Kompositionen viele Details hinzufügt. Bei den mehrstimmigen Gesängen sitzen seine Einsätze ebenso sicher wie die von Gitarrist Malcolm Jones.
Der war all die Jahre ein ganz wichtiger Bestandteil des Bandsounds, sein wunderschöner Ton transportiert jene Wärme, welche die Lieder stets umgab. Diese weiten, langen und sanften Leadfills, etwa bei "Canada" wissen so nur britische Sechssaiter hin zu zaubern. Der Mann wurde nie in der Riege der Großen seiner Zunft genannt, für mich war er stets unterschätzt. Ihn wird das wenig ausmachen, er hatte in den vierzig Jahren eine tolle Karriere, er spielte lieber in seiner eigenen Welt versunken, stellte sein Können dabei immer in den Dienst der Band.

Band und Zuschauer verschmelzen zu einer Einheit, jeder Tropfen, der von der Bühne perlt wird unten aufgenommen und durch sämtliche Reihen mitgetragen. Auch der treuen Anhängerschaft ist eher zum Feiern zumute, sie wollen ihre Helden ein letztes Mal fordern, noch einmal mit ihnen sein. Doch auch der schönste Abend hat ein Ende, als nach der inoffiziellen schottischen Hymne "Loch Lomond" die Sechs nach vorne treten, um letzte Grüße an die Welt zu richten, rollen die Tränen auf beiden Seiten. Jones hält sich an seinem Stratocaster fest und kann seine Emotionen nicht zurückhalten. Es heißt, dass Sehnsucht unheilbar sei, und ich denke dass es stimmt, sie alle werden sich zeitlebens nach dem Jubel sehnen, wie das Publikum nach ihrer Präsenz.

Wohl denen, die an diesem Abend dabei waren, oder wächst in ihnen noch mehr Sehnsucht, jene Sehnsucht, die auch immer aus den Melodien der Legende heraus schien? A Cappella intoniert man das berühmteste Lied, die Ballade von den heilenden Kräften dieses Landes, die alte Herzen jung werden lassen. Nachdem sich die Musiker ganz vorne gegenseitig Trost gespendet und ein letztes Mal den Fans zugewunken haben, steigt auf dem Hügel vor der Burg ein Feuerwerk auf. Die Fans singen dazu weiter den Refrain von "Hearts Of Olden Glory" und liegen sich in den Armen, als RUNRIG ihren letzten Gang von der Bühne antreten. Mit diesen Bildern fadet die Aufnahme aus, während die Menschen vor Stirling Castle weiter singen.

Ist es möglich so ein Konzert, so ein spezielles Event mit dem nötigen Respekt für die Nachwelt aufzubereiten? Das Unglaubliche ist, das es das Team um die Musiker und Regisseur Marcus Viner geschafft haben die Stimmung einzufangen. Die Gruppe hat auf der Bühne alles gegeben, ein Programm aus dreißig Titeln über ihr ganzes Schaffen zelebriert. Und man hat das Gefühl, dass alles noch einmal mitzuerleben. Hätte man nur diese Lieder gespielt, es wäre ein Ereignis gewesen, doch die Art und Weise ist überwältigend. Das fängt beim Sound an, der authentisch aus den Boxen kommt, jedes kleine Detail ist klar zu vernehmen, wenn Calum McDonald die Röhren schlägt ist jede einzeln zu hören, ebenso wie Hurrens Piano. Dieses sensationelle Klangbild wurde für die DVD wie auch CD druckvoll aufbereitet worden, damit der Hörer darin versinken kann.

Natürlich benötigt es auch Bilder, um das alles erfassen zu können und dabei hat man ganze Arbeit geleistet, wie viele Stunden muss da Material gesichtet worden sein? Schon alleine wie die Lightshow in Szene gesetzt wurde ist atemberaubend, sie unterstreicht die Stimmung jedes Songs. Auch von den Videos auf der Leinwand bekommt man viel mit, und sogar das Werfen der Silhouette von Jones auf die Mauer des Stirling Castle bei seinem Signatur-Instrumental "On The Edge" ist zu sehen. Auch hier macht sich bei einem ohnehin großartigen Ganzen die Liebe zum Detail bezahlt, all die Gesten und Blicke auf der Bühne, welche das Verständnis der Band untereinander zeigen sind zu sehen. Oder auch wie die Kamera Rory McDonald und Bruce Guthro bei ihren Ausflügen ganz nach außen auf der Rampe folgt, fast so als wäre man dabei.

Ist das Bühnengeschehen schon meisterhaft visualisiert, so wurden die Fans fast noch brillanter in Szene gesetzt. Nicht nur die schon angesprochenen Einstellung in der Totalen, welche das Meer an Begeisterung zeigen, sondern vor allem die Nahaufnahmen sind großartig. Die vielen kleinen Szenen wurden wunderbar ins Geschehen eingebunden, den Momenten wurde wie in der ganzen Produktion viel Platz gelassen, anstatt hektisch zusammen zu schneidern. Dadurch hat man Zeit, die Emotionen der einzelnen Zuschauer wahrzunehmen. Die aufmerksamen Kameraleute, die aber nie zu sehen sind haben die unterschiedlichsten Stimmungen eingefangen:
Tanzende Menschen, jubelnde Menschen, Fans die mit geschlossenen Augen genießen oder welche, die mit großen Augen das Geschehen auf der Bühne betrachten, dann wieder küssende Pärchen oder einfach nur fröhliche Gesichter und am Ende auch viele weinende - ganz so wie im richtigen Leben. Ohne den Grundcharakter zu verzerren werden auch einige technische Tricks wie Zeitlupen benutzt, um einige Augenblicke noch intensiver wirken zu lassen. Seien es einige Szenen unter den Bandmitgliedern auf der Bühne oder wie beim mächtigen "Alba" alle Hände synchron dem Nachthimmel entgegen gehen.

RUNRIG sind abgetreten als sie es noch in Würde tun konnten, das nötigt riesigen Respekt ab, vielleicht haben sie ihre Karriere sogar auf dem Höhepunkt beendet. Sie haben ein Ende vollbracht, an das man sich erinnern wird, König Theoden wäre stolz auf sie gewesen. Ob "The Last Dance - Farewell Concert" ein Trost ist, muss jeder für sich entscheiden, ein Geschenk ist es auf alle Fälle, eine Qualität die ihresgleichen sucht, für die Perfektion nicht als Terminus ausreicht. Diese DVD kann alles, sie hat den Rezensenten drei Stunden aufrecht auf der Couch sitzen und gebannt auf den Bildschirm starren lassen, nur um am Ende einen völlig aufgelösten kleinen Pfälzer zurück zu lassen. Mehr geht nicht, mehr kann einen Musik nicht ganz tief drinnen berühren, stärker kann man sich nicht in das Konzert hinein versetzen. Jeder, der bei Musik etwas empfindet, für den es vertonte Emotionen sind, muss dieses Teil besitzen. (Pfälzer)

 

Bewertung:

Pfaelzer10,0 10 / 10


Anzahl der Songs:  15 (DVD1) / 16 (DVD2)
Spielzeit: ca. 109 min (DVD1) / ca. 98 min (DVD2)
Label: RCA/Sony Music
Veröffentlichungstermin: 16.08.2019

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