Im Schmerz geboren - Metallicas Auftritt vor 30 Jahren in der Saarlandhalle

metallica cover justice newsEin Beitrag von Gastredakteur Oliver Jochum
Es gibt Platten, die springen mit voller Wucht ins Geschehen und ins kollektive Bewusstsein und halten diese Attacke bis zum Ende, „Reign In Blood“ ist so eine. Dann gibt es Alben, die schlendern fast beiläufig in eine grobe Richtung, bereiten etwas das Spielfeld vor und schlagen erst dann zu. „South Of Heaven“, schon wieder SLAYER. Und dann gibt es solche, deren erste Töne einem aus dem Keller entgegen stiefeln und klarstellen: Ab hier nur noch Dunkelheit. Du kannst mitkommen, aber das wird eine charakterbildende Maßnahme. Ein rückwärts gespieltes, Feedback-artiges Intro sich umschraubender Gitarren, schemenhafte Besorgnis und Traurigkeit, langsam anschwellend und den Blick auf einen Abgrund richtend, der in keinem der folgenden Songs direkt thematisiert wird, aber immer gegenwärtig ist. Der große grüne Elefant im Zimmer. Und dann bollern nach 36 Sekunden das dänische Großmaul und der brütende Skaterboy mit der weißen Explorer das bekannte Break, dröhnend hinein in 'Blackened'. „Throwing all you see into obscurity“. The Return Of The Thin White Duke. In weißen Adidas.

Jeder weiß, was nach „Master Of Puppets“ passierte. Der perfekt durchkomponierten Messlatte eines Genres, Schönheit und die kalte Hand direkt nebeneinander, die Dynamiken in Konzeption und Tracklist bereits am Album davor geübt und bloß noch verfeinert. Mit dem üblichen Song, der bereits auf den nächsten oder übernächsten Schritt deutete. Hatte „Kill 'Em All“ sein 'The Four Horsemen' und „Ride The Lightning“ 'For Whom The Bell Tolls' bzw. 'Creeping Death', zeigte auf „Master Of Puppets“ mindestens ein Song in die Zukunft. 'The Thing That Should Not Be' hätte 1991 auf „Metallica“ einen relativen (und raren) Füller wie 'Don´t Tread On Me' bündig ersetzt, es hätte dem Album gut gestanden. METALLICAs Tellerrand war gewaltig und Limits setzten sie sich ungern, auch um eigene Limitierungen zu überwinden. Da ist es gut, wenn man einen Kompass hat. Der Kompass trug Schlagjeans, ein MISFITS-Shirt und spielte auf seinem Bass Unglaublichkeiten ohne Plektrum, konnte arrangieren und hieß: Cliff Burton. Und der Kompass wurde am 27. September 1986 in Schweden von einem Bus erschlagen.

Es wäre in so einer Situation legitim, einen kurzen Moment innezuhalten, sich eine gewisse Stagnation zu erlauben, Kräfte zu sammeln und sich neu auszurichten. Stattdessen Aktionismus in Form endloser Touren rund um den Globus. James Hetfield trug seit jenem Unfall on stage nur noch Schwarz, auch erst seit dieser stockdunklen Nacht in Ljungby festigte sich die bis heute gültige Assoziation der ikonischen Bühnenpräsenz: Breitbeinig über einen in geschätzt Hüfthöhe angebrachten Mikrofonständer gebeugt, mit der eventuell flottesten rechten Hand im Showbiz auf den Korpus seiner weißen Gibson Explorer eindreschend, die erst einen wie ihn brauchte, um sich doch noch als cooles Instrument durchzusetzen. Die früher leicht quiekige Stimme hatte über die Jahre eine Dreckschipp heiserer Mauligkeit abbekommen. Und seine generelle Sicht der Dinge hatte Hetfield als (vom Mainstream-Musikfernsehen verpixelte) Sticker auf den Gibsons bappen: Eet Fuk. More Beer.

Man schüttelt sich nach einem solchen Verlust nicht unbedingt eilig die Klamotten aus, kuckt sich kurz um und beginnt sich ein Manifest zusammen zu schrauben, noch komplexer, noch länger, noch introvertierter, aber eben auch noch breitbeiniger. Für das man sich die Werkzeugkiste bestückt hat und einfach mal beginnt zu hämmern, es wird schon werden. Wird es aber nicht. Erst mal dick auftragen und erwarten, dass es sich einfach so zu einem schlüssigen Gesamtbild fügt, das nicht genau umrissen wurde, funktioniert in den seltensten Fällen. Das Leben ist nicht Bob Ross. Aber die Show muss eben weitergehen. Man weiß gerade selbst nicht genau wie, aber man baut mal vorsorglich so massive und hohe Wände, dass schon niemand drüberklettert und ins Innere glotzt. Von der fahrigen Schnapsidee, „Master Of Puppets“ unbedingt übertreffen zu müssen, mal ganz abgesehen. Perfektion mit Vorsatz unter den gegebenen Umständen. Eier. Wir brauchen Eier.

Wenn man das durchzieht, kommt zum Schluss etwas wie „...And Justice For All“ dabei raus. Und wie das Ergebnis klingt, gehört so sehr zur Geschichtsschreibung wie die Musik. Eigentlich überlebt eine solche Buckelpiste spätestens an diesem Punkt keine normale Band. Eigentlich.

Eat Fuck. More Beer.

Das waren METALLICA 1988. Die vermutlich kopfloseste größte Band auf dem Planeten. Und „...Justice“ war ihr Monolith. Ein labiles 'Mia san mia', gepaart mit der robusten Starrsinnigkeit zweier grundverschiedener Alphamännchen. Ein Mix, der die Band auf den Gipfel trieb wie das EPO Lance Armstrong hoch zum Mont Ventoux. Damit kann man sehr weit kommen. Wenn man nicht vorher tot vom Rad fällt.

Wir müssen spätestens jetzt über Jason Newsted sprechen. Sein Eintreffen auf der „$5.98“-EP im Jahr zuvor war ein Statement, sein Engagement auf und seine Authentizität abseits der Bühne bis zu seinem – unverschuldet - unrühmlichen Abgang 2001 waren eine verlässliche Größe, vor allem ab den Jahren direkt im Auge des Orkans 1991/92. Der ins Geschehen integrierte Fan aus der ersten Reihe, der sich am Sendungsbewusstsein des trommelnden Giftzwergs und den Hetfieldschen Dämonen die Zähne ausbiss. Ein bodenständiger Charakter, der inmitten des Gigantismus und der Monstertourneen allabendlich ein stabiles Fundament bot, nachdem man ihm die Beteiligung an seinem ersten METALLICA-Album sprichwörtlich geraubt hatte. Gut bezahlter Masochismus eben. Dafür lieben wir ihn bis heute.

Nun streiten sich die Gelehrten darüber, ob überhaupt für alle neun Tracks des Albums vollendete Bass-Spuren existieren respektive überlebt haben, bis heute sind nur vier mit Sicherheit ausgehoben. Man weiß bereits jetzt, dass das umfassende Box-Set zum Jubliäum schon wieder keine Antworten gibt, nicht mal als Alternativ-Mix. Rechtfertigungen verschiedener am Mix beteiligter Charaktere beinhalten durch die massive Gitarrenwand aufgetretene Dynamik-Miseren, denen die Bassgitarre weichen musste, man würde sie so oder so nicht hören. Wahrscheinlicher ist, man muss es wohl zugeben, die Theorie, dass Ulrich selbst einen Techniker anwies, 6 dB im Bass wegzunehmen und ihn selbst und Hetfield damit zu versorgen. Eine einsame Entscheidung, aber vom nicht-skandinavischen Teil des bandinternen Aufsichtsrats zumindest geduldet.

Wie demonstrativ kaugummikauend und betont abschätzig Lars diese Order gegeben haben mag, ist nicht zu ergründen. Ob er im Sinn hatte, ebenjenes Loch, das Cliff Burtons Tod gerissen hatte, hörbar zu machen, wäre zumindest sinnstiftend. Allerdings haben wir es immer noch mit den beiden überbordenden Egos der Gruppenköpfe zu tun, denen das Burtonsche Frühwarnsystem abhanden gekommen war. Die spielten munter 250 Konzerte im Jahr, jetteten von Auftritten zurück ins Studio und setzten sich selbst ans Mischpult, wenn die Umstände es erforderten. Das passierte mit zunehmender Dauer immer regelmäßiger. Und das hört man eben auch irgendwann, wenn Drummer und Rhythmusgitarrist sich gegenseitig überbieten.

Die Kontrolle über das Projekt „Justice“ entglitt ihnen also so langsam, und damit Anspruch vs. Wirklichkeit. Was sich eben noch aufrecht halten ließ, wenn man schon ohne Fokus startet. „Larz´ dreams and Jaymz´ nightmares“ textete mal jemand sehr treffend, und damit ist das Unternehmen ideal verschlagwortet. Das Kokain unterstützte nicht unbedingt ein zielgerichtetes Agieren, selbst der vergleichsweise relaxte Kirk Hammett entschied sich zum Nachteil des Gras für die Pulverform als bevorzugte Soupe du Jour. Auch Hammett war, wie Jason Newsted, jemand, der jemanden ersetzte und dessen Wort nicht so gefragt zu sein schien, wie es seiner musikalischen Rolle entsprach: ein begnadeter Solo-Gitarrist mit einem warmen, sehr speziellen Ton. Aber für die Früher-Dagewesenen – die es bereits vor 1991 gab – eben ein Bezahlmusiker, der früh Dave Mustaine ersetzt und noch viele Jahre vor sich hatte, an einer recht kurzen Leine gehalten zu werden. So ist das manchmal, wenn man zu den Bayern wechselt. Kalle und Uli werden schon rechtzeitig insisitieren.

Um kurz noch etwas weiter auszuholen: 1988 darf man im Rückspiegel als sensationelles Metal-Jahr bezeichnen, womöglich nur noch getoppt von 1991. Große Namen auf einem kreativen Zenit, „South Of Heaven“ oder „Seventh Son Of A Seventh Son“ waren zeitgleiche Alben arrivierter Figuren, die pünktlich einen für sie definitorischen Sound als Konzentrat parat hatten, der ihnen noch sehr lange als Fundament dienen würde. „Ram It Down“ gehört sicher nicht dazu, aber aus Florida rollte derweil das spezielle Aroma der Verwesung an, denn DEATH hatten gerade „Leprosy“ in die Arena geeitert. In Seattle füllte man derweil das melancholische Gepolter aus sumpfigen Proberäumen ab, SOUNDGARDEN, NIRVANA und MUDHONEY nahmen bereits Anlauf. Aber noch war Grunge eben nur der regional überschaubare Schmand unter den Fingernägeln.

Ein paar Meter weiter von Sub Pop und Jack Endino laborierten in Seattle die Künstlerseelen von QUEENSRŸCHE, die sich irgendwie zwischen zwei grundverschiedene Nischen gequetscht hatten. Eine grundsätzlich klassische Metal-Band mit einem unaufdringlichen, unangeberischen Prog-Ansatz, allerdings auf „Rage For Order“ zwei Jahre zuvor deutlich ein MTV-Publikum ins Visier nehmend. Es sollte noch weitere drei Jahre dauern, bis 'Silent Lucidity' und damit „Empire“ ein Hit wurde, eine Single von außergewöhnlicher Länge und Breite, so nah an PINK FLOYD und Gilmourscher Harmonieseligkeit, wie man in diesem Genre nur kommen kann. 'Comfortably Numb' ohne den giftspeienden Waters von „The Wall“. Mit Roger Waters' Chronik einer Selbstzersetzung hatten sie es aber auf „Operation: Mindcrime“ bereits, der Beginn von 'Eyes Of A Stranger' ist kein Zufall. Das Album wurde rasch als Genre-Klassiker identifiziert, barg aber keine offensichtlichen Hits. Eine dunkle, kantige Konzeptplatte um einen jugendlichen Protagonisten, der als Killer von einer Untergrund-Terrorzelle angeworben wird und zusehends dem Heroin verfällt. Nicht unbedingt auf der hellen Seite des Mondes, aber: ein Monolith. Mit dem Flair eines nachtschwarzen Hinterhofs, das sich von der Sterilität des blitzblanken gekachelten Badezimmers von „Justice“ unterschied, aber das war womöglich auch das Badezimmer von Norman Bates. Stilistisch gibt es größere Schnittmengen, aber die Kombination beider Bands für diese Tour ergibt rückblickend Sinn.

Dass `TALLICA und `RŸCHE an jenem 22. Oktober gemeinsam aus ihren Nightlinern auf das Gelände der Saarlandhalle fielen, hatte aber eher organisatorische Gründe, als dass es Zeugnis künstlerischer Nähe war. Beide Bands waren bei Q Prime unter Vertrag, das so benannte Management war also daran interessiert, das sperrigere Quintett aus Seattle an die mengenmäßig überlegene METALLICA-Klientel heranzuführen. Es mag verwundern, dass das Konzert nicht ausverkauft war. Die Tribünen linker Hand waren abgesperrt und damit unbesetzt, Zeitzeugen erinnern sich auch an eine ausreichende Bewegungsfreiheit. Die zappeligen METALLICA machten sich in jenen Jahren auch nicht allzu rar, regelmäßige Station in Deutschland und angrenzendem Einzugsgebiet war die Regel. Über Backstage-Exzesse innerhalb der Saarlandhalle gibt es keine Berichte, es wird hinter der Bühne ausgiebig Jägermeister, Weed und Blow konsumiert worden sein, womöglich setzte die Hauptband auch zu einer ihrer Burger-Schlachten an, mit der sie seinerzeit recht regelmäßig Räumlichkeiten dekorierte. Nicht alles ist allerdings nicht dokumentiert. Gottlob existiert ein komplettes Audience-Tape jener Nacht.

Schraubgitarren rückwärts und Gejohle, Ddrrr-dd-dd-dd-dängdäng, ddrrr-dd-dd-dd-dängdäng. Pack ma´s. Ab hier folgt man einer wenig ausbaufähigen Setlist, es knattert kleines Einmaleins des Metal in die Halle wie durch eine Saloontür. Auf 'Harvester Of Sorrow', die aktuelle Single, folgt die kommende Auskopplung, das weiß Gott nicht regelmäßig gespielte 'Eye Of The Beholder'. „Do you fear what I fear?“ Vermutlich ja, aber es ist schon ein ziemlicher Höllenritt. Grellwache Paranoia in Form und Inhalt, 'One' war noch nicht mal als Single veröffentlicht, der womöglich wichtigste Song und Clip in der Karriere unserer vier apokalyptischen Reiter. Waren das Zeiten. Das ewig verzögerte Wiedereinsetzen der Band nach dem Solo-Part von 'Harvester', seinerseits die Blaupause für 'Sad But True' und den gesamten Morricone-Thrash der Bob Rock-Jahre, alles schon da. Noch ein paar Jahre weg die Hetfieldschen Vokaldehnungen. Kein „Yeeehheee-ah“, kein „Uhh“. Man hatte den Südstaaten-Trailerpark in sich noch nicht ganz freigelegt.

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Ulrich folgt den Tempovorgaben Hetfields noch ohne das merkliche Gehechel ab zirka der Mitte der Neunziger bis etwa 2008, er übte noch hier und da. Newsted soliert. Danach der notorische Beweis von Ortskundigkeit in der abgewandelten Anfangszeile eines Songs vom Debüt, diesmal eben „Scanning the scene in Sööbwucken tonight“. „Kill 'Em All“ kommt schon 1988 aus einer ganz anderen Zeit, 'Seek & Destroy' ist aber noch nicht der standardisierte Schluss des Zugabenblocks, nicht mal des normalen Sets. Das ist der Titelsong des aktuellen Albums, ohne den es Bob Rock wohl nie gegeben hätte, weil: Das später viel zitierte und sich langsam in den Köpfen einnistende Symptom, dass man sich vielleicht doch etwas übernommen hat, wenn man das jeden Abend spielen muss. Ein formidabler Song. Allerdings auch eine neunminütige Dauerejakulation dessen, was man so an Ideen auffahren kann, und das Runde muss eben notfalls per Fernschuss ins Eckige. So dicht am Ludwigspark kann man von Fußballvergleichen kaum Abstand nehmen.

Zugabe, Zugabe. 'Creeping Death', danach die Halbballade vom selben Album, Hammett darf dann auch mal allein ins Rampenlicht. 'Damage Inc.', kurze Schnupfpause, was soll denn jetzt noch kommen? Richtig: Coverversionen. MISFITS, DIAMOND HEAD, leider kein 'Blitzkrieg', dafür BUDGIEs 'Breadfan'. Gab es jemals eine vergleichbar geschmackssichere, monumentalere Coverband? Heute Abend sicher nicht.

'Whiplash' spielen sie dazwischen auch noch. „Life out here is raw, but we will never stop, we will never quit, cause we are Metallica“. Taten sie dann doch, und sie kamen auch nicht mehr. Ohne die Turbulenzen zwischen 1986 und 1989 hätte es die Stadionband METALLICA nie gegeben. Und der Weg zum globalen Phänomen führte auch einen Abend über Saarbrücken. Für umgerechnet 17 Euro im Vorverkauf kann man sich so ein Werden schon mal ansehen.

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Setlist METALLICA 22.10.1988:

The Ecstasy Of Gold [Intro]
Blackened
For Whom The Bell Tolls
Welcome Home (Sanitarium)
The Four Horsemen
Harvester Of Sorrow
Eye Of The Beholder
[Bass Solo]
Master Of Puppets
One
Seek & Destroy
...And Justice For All

Encore Break

Creeping Death
Fade To Black
[Guitar Solo]
Battery

Encore Break

Last Caress
Am I Evil?
Whiplash

Encore Break

Breadfan

 

[Das Geburtstags-Reissue von „...And Justice For All“ erscheint am 02. November als 3CD-Set und Deluxe Edition.]

 

 

 

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