Long Distance Calling - Ghost

longdistancecalling ghostMan muss wohl nicht mehr viele Worte darüber verlieren, dass 2020 für die meisten Bands und die gesamte Musikbranche einfach scheiße war. LONG DISTANCE CALLING haben es dabei jedoch fast noch gut getroffen. Ihr Album „How Do We Want To Live?“ brachten sie wie geplant heraus, während andere Bands die Veröffentlichung verschoben. Damit konnten sie beachtliche Erfolge feiern und als eine von wenigen Bands haben sie es tatsächlich geschafft, so etwas wie eine Tour auf die Beine zu stellen. So sind die Münsteraner auch eine der wenigen Bands, die ich im letzten Jahr live sehen konnte. Und trotz der etwas seltsamen Umstände – bestuhlt, an Tischen, in kleinen Gruppen, mit Maske – war es ein verdammt gutes Konzert – so wie eigentlich alle Liveauftritte der Band gut sind.

Und live ist auch ein gutes Stichwort. Denn auch wenn sie nicht wirklich touren konnten, oder wahrscheinlich gerade deswegen, mussten LONG DISTANCE CALLING irgendwohin mit ihrer Kreativität. Herausgekommen ist die EP „Ghost“, die man innerhalb von gerade einmal drei Tagen geschrieben und aufgenommen hat. Wobei „geschrieben“ hier wohl etwas übertrieben ist. Ähnlich wie bei der 2014er EP „Nighthawk“ so hat man sich auch dieses Mal dafür entschieden einfach zusammen zu jammen, Ideen auszutauschen und das Ergebnis dann gleich auch aufzunehmen.

So klingt „Ghost“ sehr organisch, aber keinesfalls chaotisch oder unausgegoren. Viele unterschiedliche Stimmungen gibt es auf der EP zu entdecken. Da wäre zum einen der Opener „Dullahan“, der passend zum Titel der EP gruselig beginnt. Quietschend öffnet sich eine Tür, Holzbohlen knarzen, man hört Geräusche, die man im ersten Moment nicht zuordnen kann und insgesamt hat der extrem kurze Song eine sehr düstere Atmosphäre. Instrumente spielen hier nur eine Nebenrolle, dominiert wird der Song von anderen Geräuschen.

Im krassen Gegensatz dazu steht „Old Love“, das relaxt vor sich hin rockt, ja fast schon fröhlich swingt und einfach Laune macht. Immer mehr Fahrt nimmt der Song auf und in ihm kann man sich völlig verlieren. Das wäre so ein Titel, von dem ich mir wünsche, dass er in der Livesetlist der Band auftaucht.

Das synthlastige „Black Shuck“ verbreitet dagegen gleich wieder eine düstere Stimmung. Hier liegt eine ruhige Melodie über treibenden Rhythmen, insgesamt passiert in dem Song allerding nicht allzu viel. „Seance“ ist da wieder anders. Sehr ruhig und leise beginnt der Song, arbeitet sich langsam mit sphärischen Klängen nach vorne und jagt dem Hörer einen sanften Schauer über den Rücken. Immer weiter steigert sich der Song, bis die Synths fast unerträglich werden. Doch kurz vor dem Höhepunkt werden sie von den übrigen Instrumenten eingefangen und in ein harmonisches Ganzes gebettet, das sich gegen Ende zu einem regelrecht Soundteppich ausweitet. Auch wieder ein ganz toller Song, den ich gerne live hören würde.

„Fever“ ist ein weiterer Song, der zum Träumen einlädt. Mein Lieblingssong kommt jedoch ganz am Ende: „Negative Is The New Positive“. Im Gegensatz zum vorangegangenen „Fever“ ist dieser Song extrem düster und dunkel und wird in seinem Verlauf immer bedrohlicher. Allmählich steigert er sich zu einem düsteren Flimmern und Dröhnen, das die leichte Melodie unter sich begräbt. Doch ganz langsam arbeiten sich Melodien und Harmonien wieder nach oben, abgehackt klingende Spoken Words verleihen der Atmosphäre nochmal einen leichten Gruselfaktor und dann, ganz plötzlich, ist sie wieder da, diese Melodie, die sich unaufhaltbar in die Gehörgänge frisst – und dann, dann ist der Song und damit die EP auch schon zu Ende.

Und was soll ich sagen? LONG DISTANCE CALLING enttäuschen einfach nie. Sei es jetzt ein ausgeklügelt geschriebenes Album oder eine EP als Ergebnis einer Jamsession. Die Münsteraner haben ein Händchen dafür, Soundlandschaften zu erschaffen und auch wieder zu zerstören. „Ghost“ ist über weite Teile düster, aber das passt ja auch zur aktuellen Stimmung in der Musikszene. Und es ist auch wunderschön. Wieder einmal beweist der Vierer, dass man keinen Sänger braucht um Räume zu füllen. Wie so viele Alben davor ist auch „Ghost“ einfach wunderschön geworden. Dabei spielt sicher auch das Gefühl der Liveaufnahme und der organische Sound eine große Rolle. Und jetzt vermisse ich Konzerte noch mehr. (Anne)

 

Bewertung:

Anne8,5 8,5 / 10

Anzahl der Songs: 6
Spielzeit: 33:18 min
Label: Avoid The Light Records
Veröffentlichungstermin: 26.02.2021

Wir benutzen Cookies
Für optimalen Benutzerservice auf dieser Webseite verwenden wir Cookies. Durch die Verwendung unserer Webseite erklären Sie sich mit der Verwendung von Cookies einverstanden