The Beach Boys - Sail On Sailor 1972

BeachBoys SailOnSailor"Surfin’ USA", "California Girls", "Good Vibrations" sind die Songs, die jeder Mensch auf der Welt kennt und deren Protagonisten einen ganz eigenen Sound mit kreierten, den sogenannten "California Surf-Sound". Oberflächlich betrachtet erscheint die Musik positiv und sehr simpel, aber die extreme Komplexität der Arrangements wird nicht sofort ersichtlich, auch nicht die einzigartigen, mehrstimmigen Harmoniegesänge, für die Brian Wilson seinen Cousin Mike Love bereits als Teenager mit dem Schwärmen für die EVERLY BROTHERS begeistert hatte.

Jedenfalls wurden die BEACH BOYS schnell zu Superstars, hatten jedoch den extremen Drang und auch das Können, sich weiter zu entwickeln und mehr zu sein als die "Sunny-Surf-Boys" aus Kalifornien. Dies war Mastermind Brian Wilson spätestens klar, nachdem er "Rubber Soul" der BEATLES gehört hatte. Sein darauffolgendes Meisterwerk "Pet Sounds" revolutionierte jedes Pop/Rock-Album im Hinblick auf Produktion, Songwriting und Experimentierfreude, zumindest bis die BEATLES "Sgt. Pepper`s Lonely Hearts Club Band" veröffentlichten.

Und genau das macht die BEACH BOYS so spannend; auch für mich, der sich erst sehr spät mit deren Schaffen beschäftigt hat; die Vielseitigkeit einer Band nach ihrer extremen Hit-Phase. Nach der bereits im vergangenen Jahr erschienen Wiederveröffentlichung "Feel Flows-The Sunflower and Surf`s Up Sessions 1969-1971", legt Capitol Records/Universal Music" nun nach und veröffentlicht die neuste Boxset Edition "Sail On Sailor-1972". Dabei handelt es sich um die remasterten Alben "Carl And The Passions-So Tough" & "Holland" aus den Jahren 1972 bzw. 1973. Das Set erscheint in verschiedenen Konfigurationen als 6CD Super Deluxe Edition, 5LP+7“EP-Vinyl-Boxset, 2LP+7“-EP-Variante, 2CD-Deluxe-Edition sowie in digitalen Formaten.

Die Krönung für eingefleischte Fans ist natürlich die Super Deluxe Boxen, welche die beiden Alben in bestem Sound und erweitert um einen unveröffentlichten/ungekürzten Konzertmitschnitt aus der Carnegie Hall (November 1972) enthält, diverse Outtakes, zusätzliche Live-Aufnahmen, Demos, Alternativ-Versionen, Alternativ-Mixes, A-capella-Versionen etc.

Beide Originalalben sind hoch experimentelle Alben der BEACH BOYS, die weit ab vom ursprünglichen Surfsound geprägt sind. Zwangsweise musste sich die Band von dem eigentlichen Kopf und Dirigenten Brian Wilson abkoppeln, da dieser sich kaum am Songwriting beteiligte und mit seinen inneren Dämonen, seinen Depressionen nach dem "Smile“-Desaster, seiner Drogensucht und seinen irren Psychologen hingab. Deshalb sind beide Alben u so mehr geprägt von den BEACH BOYS als Band und Einheit, mit gleichen Rechten und Freiraum für die einzelnen Mitglieder. Der Erweiterung der stilistischen Bandbreite bestimmten zudem die beiden Neuzugänge aus Südafrika; Sänger und Gitarrist Blondie Chaplin und Schlagzeuger Ricky Fataar.

Der Albumtitel "Carl And The Passions-So Tough" ist eine Anspielung auf eine Highschool-Band, die aus Brian Wilson, seinem Bruder Carl und ihrem Cousin Mike Love bestand und somit praktisch ein Vorläufer der BEACH BOYS war. Das Album ist ungewöhnlich R&B-lastig und wurde in erster Linie von Carl Wilson produziert. Aufgenommen wurde die LP in verschiedenen Studios von L.A. und im Privatstudio der Band in Brian Wilson`s Haus, zwischen dem 4. Dezember 1971 und dem 13. April 1972.

"Here She Comes" wurde von den beiden neuen Mitgliedern Chaplin und Fataar geschrieben und ist eine eindrucksvolle Roots-Rock/ Blues-Nummer im Stil von CSNY. Mike Love und Al Jardine brachten sich bei "He Comes Down" mit einer Gospel-Nummer ein, da dieser gerade Anhänger des Maharashi Mahesh Yogi war und sein Leben durch transzendentale Meditation bestimmt war. "Hold On Dear Brother" ist ein klassischer Countrysong, geschrieben von Chaplin und Fataar, mit sehr schöner Steelguitar. In "Cuddle Up" glänzt Dennis Wilson in einer traurigen Ballade mit Orchesterarrangement und Pianobegleitung. "Marcella", unter Beteiligung von Brian Wilson, erinnert dann schon viel mehr an die frühe BEACH BOYS, hier kommt auch der Harmoniegesang wieder zum Vorschein. "You Need A Mess Of Help To Stand Alone" ist ein lockerer Rocksong mit deutlicher BEATLES-Struktur, von Carl Wilson cool und rau vorgetragen.

Alles in allem ein großartiges, vielfältiges Album, welches durch "Holland" noch übertroffen wurde. Die BEACH BOYS suchten permanent nach Inspirationsquellen und so verließen sämtliche Bandmitglieder mit ihren Familien die West-Coast-Szenerie und begaben sich in die Niederlande um dort das 19. Studioalbum "Holland" bei Utrecht im Sommer 1973 aufzunehmen. Dazu richteten sie sich in einer Scheune ein provisorisches Studio ein. Tom Petty bezeichnete "Holland" damals als "wunderschön" und erklärte, die „Art und Weise, wie sie spielen, belegt, dass die BEACH BOYS in jenen Tagen eine der größten Rockbands der USA waren`.

Trotzdem ist auch im entfernten Holland Kalifornien und der Ozean immer präsent. Der Opener "Sail On Sailor" ist einer von zwei Beiträgen die Brian Wilson beisteuerte.; ein klassischer BEACH BOYS-Song dessen Leadgesang hier von Blondie Chaplin stammt und von dem Brian Wilson sagte, dass er den Song nie mochte-warum auch immer. "Steamboat" hat einen Text von Jack Rieley, den Dennis Wilson vertont hatte. Carl und Dennis produzierten das Lied, Tony Martin spielt die markante Steelguitar. Alle BEACH BOYS (außer Brian) liefen hier zur Höchstform auf. Highlight ist definitiv das dreiteilige "California Saga", geschrieben von Mike Love und Al Jardine. Traumhafte Melodie, glasklarer und sehnsüchtiger Leadgesang von Mike Love bei Part 1/ "Big Sur", schöner Einsatz von Harp und Pedal-Steel. Das Lied enthält auch im dritten Part "California", der den klassischen Harmonieansatz und die alte "BEACH BOYS-Schule wieder aufgreift, den einzigen Auftritt von Brian Wilson, der die Zeile „On My Way To Sunny California“ singt. "The Trader" ist ein einfacher Rocksong mit Carls Leadgesang und herrlicher Hook; ein Song mit Tiefgang über die Auswirkungen des Imperialismus. Soulartig und etwas zu wehmütig präsentiert Blondie Chaplin als Sänger "Leaving This Town", mit einem Moog-Synthesizer Solo, das irgendwie dem Song entsprechend zu sphärisch erscheint und die Nummer auf fast sechs Minuten ausdehnt. Auch das obligatorische Liebeslied "Only With You" hat eine schöne Melodie, tolle Instrumentierung und ist nicht völlig dem Kitsch verfallen. "Funky Pretty", an dessen Songwriting Brian Wilson beteiligt war, ist gesanglich unter Beteiligung aller Bandmitglieder entstanden, mit spärlichem Drum-Sound und Moog-Begleitung.

Die Boxset-Edition dient in der Luxusversion nur dem ultimativen Fan. Aber für alle anderen, die sich mit Rockmusik gleich welcher Art beschäftigen, sind gerade die beiden im Set enthaltenen Alben sehr interessant. "Die neue Edition "Sail On Sailor - 1972 "ermöglicht es, diese kreative Umbruchsphase noch einmal im Detail zu erleben und wirklich tief einzutauchen in eine Ära, die lange als unterschätzt galt. Eine Ära, in der die Beach Boys einfach alle Regeln über Bord warfen und sich komplett neu erfanden". (Bernd Eberlein)

 

 

Bewertung:

Ebi8,0 8 / 10

Label: Capitol Records / Universal Music
Anzahl der Songs: k.A.
Spielzeit: --:-- min
Veröffentlichungstermin: 02.12.2022

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