Die Toten Hosen - Alles Ohne Strom

totehosen allesohnestromAls die Düsseldorfer 2005 im Wiener Burgtheater den Stecker zogen, um ihre Songs im akustischen Gewand darzubieten war die Skepsis groß. Tatsächlich fällt es als jemand schwer, der die Band schon vor dem großen Durchbruch mit „Ein Kleines Bisschen Horrorshow“ kannte, als man räudig und teilweise wavig durch die Republik rockte. Doch zum Zeitpunkt jenes Konzertes waren DIE TOTEN HOSEN schon längst im Mainstream angekommen, hatten Hymnen für die Massen abgeliefert. Und so geriet die Nummer auch zum vollen Erfolg, welche die Musiker in einem anderen Licht zeigte und ihnen viel Respekt einbrachte. Das schrie nach einer Neuauflage und so wie METALLICA ihr „S&M“ neu aufgelegt haben, so haben sich auch die einstigen Punks nochmal an die Sache gemacht. Was kann „Alles Ohne Strom“, kopiert es das erste Werk oder geht es wieder neue Wege.

Schon als die Musiker am 13. Und 14. Juli auf die Bühne der altehrwürdigen Tonhalle in ihrer Heimatstadt stiegen war klar, dass man hier keinen Aufguss den Wiener Konzerten servieren würde. Hatte man damals drei Begleitmusiker, so ist man dieses Mal mit sechzehn Leuten auf den Brettern inmitten dieses coolen Baus. Darunter befinden sich Piano, Streicher und Blasinstrumente, doch keine Angst so orchestral wie die oben genannten Bay Area-Helden wird man nicht. Vielmehr verpasst man den Liedern einen ganz eigenwilligen Anstrich, der mal gut, mal perfekt, jedoch immer interessant klingt.

Das ganze tendiert mehr in Richtung Big Band-Sound mit ein paar fast swingenden Einlagen, „Politische Lieder“ hat fast etwas von Dixiland-Jazz. Dem Genre angemessen ergeben so ein paar Trompetensounds auch eine Nähe zum Ska, gerade bei den flotteren Stücken wie „Urknall“ oder „1000 Gute Gründe“. In „Ein Guter Tag zum Fliegen“ legen die Blechbläser ein paar feine Flächen darunter und lassen den Titel damit tatsächlich abheben. Schon der Beginn ist fantastisch arrangiert, „Entschuldigung, Es Tut Uns leid!“ wird á capella gesungen, nur ein paar Pianotupfer begleiten die Fünf.

Dabei setzen DIE TOTEN HOSEN nicht nur auf eigenes Material, sondern covern ein paar Songs wie den bereits erwähnten ihres Spezis Funny van Dannen. Doch auch RAMMSTEINs „Ohne Dich“ reiht sich in den Kanon der schönen nachdenklichen Lieder ein. Bei „Everlong“ von den FOO FIGHTERS entschuldigt sich die Band zwar vor vorneherein, doch ich finde ihre cleane Version bringt den großartigen Refrain besser zur Geltung. Obendrein hat die Formation ein paar neue Sachen wie die Single„Feiern Im Regen“ für die Aufführung komponiert, und „Strom“ wurde auf den Albumtitel umgetextet, um den Anlass treffend einzuleiten.

Von der Songauswal hat man sich komplett von den ersten Akustikshows emanzipiert und mit dem „Hier Kommt Alex“ nur eine Dopplung. Jener ultimative Klassiker erfährt hier allerdings erneut eine Bearbeitung und wird wunderbar in Richtung Texas Blues gebürstet. Von den letzten drei Platten gibt es ein Dutzend Titel, doch auch einige Stücke der kommerziell erfolgreichsten Phase in den Neunziger wie „Niemals Einer Meinung“ oder „Paradies“, welches einen Country-Einschlag bekommt, sind vertreten. Selbst das Frühwerk findet mit dem legendären „Liebeslied“ und dem abschließenden „Verschwende Deine Zeit“ Erwähnung.

Es ist vor allem die Musikalität, die auf „Alles Ohne Strom“ begeistert, wie sich eine Combo, die mit simplen Drei-Akkorde-Fetzen angefangen hat, sich hier präsentiert ist aller Ehren wert. Natürlich wurden sie in all den Jahren besser Musiker und tausende Konzerte schweißen zusammen, doch es erstaunt wie homogen man mit den neuen Mitmusikern harmoniert. Da sitzt alles auf den Punkt, nicht nur instrumental, auch die vielen unterlegten Chöre bekommen die Herren perfekt hin. Die tollen Arrangements können so ihre Wirkung entfalten, eine unglaubliche Dynamik macht sich breit, und manches wie „Alles Mit Nach Hause“ knallt richtig explosiv los.

Dem Regisseur Paul Dugdale ist es gelungen, die tolle Atmosphäre während des Gigs einzufangen. Obwohl es sich bei der Tonhalle um einen riesigen Kuppelbau handelt, vermittelt “Alles Ohne Strom“ eine regelrechte Intimität. Band und Publikum werden eins, nicht nur weil Frontmann Campino öfter durch die Reihen tanzt. Mit seinem Scherz zu Beginn als er nach kurzem Einspielen aller Musiker „Das war´s!“ verkündet, fallen direkt die Barrieren.
Und so sind die Fans immer da, wenn ihre Helden sie brauchen, sei es mit lauten Singalongs oder nur mächtigen „Ohoh“-Chören. Immer wieder erhebt sich der ganze Saal um mitzuklatschen, was vom Ton ebenso gut eingefangen wurde. Zwar setzt man sich zwischendurch gerne hin und lauscht nur den tollen Klängen, doch das Ensemble auf der Bühne weiß die Leute stets aufs Neue von den Sitzen zu reißen.

Im Mittelpunkt steht natürlich der Sänger, der heute zu den großen Persönlichkeiten in der deutschen Musikszene zählt. Der flotte Spruch am Anfang war nur der Auftakt zu vielen lockeren Ansagen, so bedankt er sich für anhaltenden Jubel gerne mal mit „Freunde, das muss doch nicht sein“. Doch auch ernste Worte richtet er an sein Publikum, wenn es das folgende Lied benötigt, man nimmt es ihm ebenso ab.
Dann kann er auch sehr intensiv darin versinken und die Stimmung authentisch rüber bringen. Ansonsten holt er von seiner Performance trotz des reduzierten Rahmens alles heraus, ist ständig auf den Brettern unterwegs. Selbst wenn er sitzt, wirkt er agiler als so mancher Mucker vorne an der Rampe. Schon alleine sein Spiel mit dem Mikrofonständer, seine ganze charakteristische Gestik sind großartig und zeigen seine ganze Hingabe.

Die gute Laune überträgt sich auf die gesamten Mitmusiker, seine langjährigen Weggefährten sind immer dicht an ihrem Vorturner dran. Speziell Kuddel, mit dem er „Tage Wie Diese“ ganz alleine zelebriert, unterstützt ihn bei den Vocals. Der Gitarrist ist auch ein Zeichen des Wandels hin zu erwachsenerem Output, der einst pausbäckige Punk hat sich zum kantigen Mann mit Hipster-Frisur gemausert.
Die Spielfreude ist unglaublich, da wird jeder Ton mitgelebt und die enge Beziehung zwischen Band und Anhängern kommt auch zu den Gastmusikern auf. Man muss einfach auf die immer wieder gut in Szene gesetzten Gesichter schauen, wie miteinander kommuniziert wird. Pianistin Esther Kim hat immer ein Lächeln auf den Lippen und Djordje Davidovic am Schifferklavier wird öfter mal von den TOTEN HOSEN in Szene gesetzt.

Dass dies so gut eingefangen ist, verdanken die Zuschauer vor dem Fernseher der oben genannten Koryphäe auf dem Regiestuhl. So kommen auch die Menschen auf den Rängen vor Ort und ihre Emotionen gut zur Geltung. Das zehnminütige „Making Of“ gibt ein paar sehr gute Einblicke in seine Arbeit, ebenso die Interviewsequenzen darin. Klanglich wurde das Geschehen von Stephan Holtz und Vincent Sorg genauso klar und lebendig wie die Bilder eingefangen.
Bereits das Intro des Hauptteils, welches alle Musiker vor dem Konzert im Umkleidetrakt zeigt, macht das blinde Verständnis und den Spaß bei der Sache sichtbar. Man spürt, dass da ein verschworener Haufen heraus geht, der weiß was er kann, um Spaß zu haben am Herumprobieren mit den bekannten Titeln, am gemeinsamen Austausch mit dem Publikum. „Alles Ohne Strom“ bereitet das so sorgfältig fürs Wohnzimmer auf, dass man sich mittendrin wähnt. (Pfälzer)


Bewertung:

Pfaelzer8,5 8,5 / 10


Anzahl der Songs:  31
Spielzeit: ca. 151 min
Label: JKP/Warner
Veröffentlichungstermin: 22.11.2019

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