Hamferð - Men Guðs Hond Er Sterk

Mit ihrer Debüt-EP und den ersten beiden Alben haben HAMFERÐ eine dreiteilige, fiktive Geschichte erzählt. Nachdem dieser Zyklus abgeschlossen war, ist es nun an der Zeit für etwas Neues. Auch dieses Mal kann man das Album wohl als Konzeptalbum bezeichnen, auch dieses Mal wird eine Geschichte erzählt. Nun jedoch anhand einer wahren Begebenheit mit durchaus persönlichem Bezug zur Band. Denn erzählt wird die Geschichte vom Skaðagrind (dt. Unglücksgrindwalfang) in Sandvík, dem Wohnort von Keyboarder Esmar Joensen, im Jahr 1915.

Die Färöer als Inselnation sind schon immer vom Meer abhängig gewesen. Es wurde immer gefischt – und immer wieder blieben Männer auf See. Das ist bis heute trotz aller Modernisierungen so. Wie es der unglückliche Zufall will sank nur wenige Tage nach Veröffentlichung der ersten Single „Abær“ ein Fischerboot bei Suðuroy und das Meer nahm sich zwei weitere Männer – das macht die Thematik des Albums wieder erschreckend aktuell. Es gibt kaum ein Dorf auf den Färöern, in dem kein Denkmal für die auf See Gebliebenen steht. Wie extrem die Folgen eines solchen Unglücks sein können, zeigt z.B. das Schicksal des Dorfes Skarð, das 1919 aufgegeben wurde, nachdem alle Männer im arbeitsfähigen Alter bei einem Bootsunglück 1913 ertrunken waren.

Ein ähnliches Schicksal blieb Sandvík erspart und dennoch war das Ereignis natürlich prägend für die Färinger, insbesondere für die Bewohner von Sandvík und dem Nachbarort Hvalba. Außerdem gab es im Zuge dieses Ereignisses mehrere dokumentierte Fälle von Hamferð, doch dazu später mehr. Am 13.02.1915 wurde eine Grindwalschule gesichtet, die in die Bucht geschwommen war. Die Wale sollten erlegt werden und es wurde zum Grind gerufen. Da Sandvík ein kleiner Ort ist, kamen traditionell die Männer aus dem Nachbarort Hvalba zu Hilfe. An diesem Tag war das Wetter jedoch so schlecht, dass die Hvalbinger nicht mit ihren eigenen Booten kommen konnten, denn sie hätten es niemals um den Berg herum geschafft. Stattdessen mussten sie zu Fuß über den Berg nach Sandvík laufen und dort Boote bemannen. Insgesamt waren es neun Boote, die die Wale zum Strand trieben.

Doch die Brandung war so stark, dass zwei Boote kenterten und ein drittes bis zum Rand mit Wasser gefüllt wurde. Dieses schaffte es wie durch ein Wunder trotzdem zum Strand. Von den beiden gekenterten Booten überlebte nur ein einziger Mann. Vierzehn junge Männer ertranken und ihre Freunde und Familien waren gezwungen, vom Dorf, vom Strand und von den anderen Booten aus zuzusehen. Man versuchte sowohl von den anderen Booten als auch vom Land aus die Männer zu retten, man sah sie zum Teil schwimmen – doch die Wellen waren stärker. Nur acht Leichen konnten geborgen werden, die anderen behielt das Meer für immer. An diesem Tag verloren viele Familien gleich mehrere Mitglieder, eine Familie in Sandvík verlor beide Söhne.

Diese Geschichte, die ja noch gar nicht so lange her ist und daher im kollektiven Bewusstsein der färöischen Bevölkerung noch sehr präsent ist, erzählen HAMFERÐ nun auf „Men Guðs Hond Er Sterk“ nach. Natürlich in der ihnen eigenen Art und Weise. Sänger Jón, der auch für die Texte verantwortlich ist, schreibt wie üblich in einer sehr poetischen Sprache, so dass die Texte ganz unterschiedlich und auch losgelöst von der eigentlichen Geschichte interpretiert werden können. Damit bewegen sie sich in der Tradition der Färöer, wo Unglücke oft Eingang in die Kunst finden, häufig in Form von Gedichten und Liedern. Auch über den Unglücksgrind von Sandvík wurden schon Lieder und Gedichte geschrieben und der Sechser setzt diese Tradition fort. Erstmals in ihrer Geschichte bietet die Band außerdem aufgrund der starken Nachfrage auf ihrer Homepage auch Übersetzungen der Texte an.

HAMFERÐ vertonen Schrecken, Entsetzen, Trauer, Wut und Schmerz. Die Färinger gehören zu den Bands, bei denen man wirklich schon nach den ersten Tönen weiß, welche Truppe man da hört, so einzigartig ist ihr Sound. Und dennoch zeigen sie auf „Men Guðs Hond Er Sterk“ auch eine ganz neue Seite. Noch keines ihrer Alben war so schnell, so hart, so finster und so schmerzhaft. Gleichzeitig sind die Stücke – zumindest für HAMFERÐ-Verhältnisse – kürzer geworden.

Eröffnet wird das Album von der ersten Single „Abær“. Dies ist noch ein relativ typischer HAMFERÐ-Song, wenn auch etwas härter. Jóns Growls sind noch fieser geworden, sein Cleangesang noch erhabener als auf „Támsins Likam“. Sehr eindringlich ist auch „Marrusorg“, das in seinen ruhigen Parts etwas an „Frosthvarv“ erinnert. Langsam, sorgenvoll, düster und intensiv scheint immer wieder die typische HAMFERÐ-Heavyness durch und damit ist „Marrusorg“ vielleicht der Song, der am ehesten so klingt, wie man es von den Färingern gewohnt ist.

Mit „Í Hamferð“ hat man nun endlich einen quasi-selbstbetitelten Song. An dieser Stelle soll dann auch, wie oben versprochen, erklärt werden, was Hamferð überhaupt ist. Unter Hamferð versteht man auf den Färöern das Phänomen, dass Angehörigen und Freunden ihre Liebsten manchmal erscheinen, obwohl sie gar nicht da sein können. Sind diese Personen zum Beispiel gerade zum Fischfang gefahren, so weiß die Person, der sie erschienen sind, dass sie tot sind – auch wenn noch gar keine offizielle Nachricht kam. Auf den Färöern ist dieses Phänomen so verbreitet, dass es sogar einen eigenen Namen – Hamferð – hat, ich kenne es jedoch auch aus anderen Kulturen und meine eigene Großmutter hat mir erzählt, dass sie ihren Verlobten zu Hause auf der Straße sah, obwohl er an der Front war. Wenige Tage später kam die Nachricht, dass er gefallen war. Vom Unglücksgrind in Sandvík sind besonders viele Fälle von Hamferð dokumentiert. Einigen Leuten erschienen sogar alle 14 Ertrunkenen gemeinsam. Es bietet sich hier also doppelt an, endlich einen Song über die namensgebende Hamferð zu schreiben. Nach einem ruhigen Beginn driften insbesondere die Drums beinahe ins Chaotische ab, aber HAMFERÐ haben ja schon öfter bewiesen, dass Doom nicht unbedingt langsam sein muss. Es gibt richtig fiese Growls und die harten Gitarren unterstreichen die düstere Stimmung.

Ganz sanft wird es wieder bei „Fendreygar“, Jóns Cleangesang schwebt erhaben über dem immer intensiver werdenden Soundteppich, den die Instrumente weben. Die zweite Single, „Hvølja“ bietet wohl die größte Überraschung für alle, die HAMFERÐ schon länger kennen. Düster und hart wie nie zuvor, mit ausgesprochen tiefen Growls und beinahe schon schmerzhaften Gitarreneffekten ist der Song ein neues Extrem im Sound der Färinger. Und ist doch eine perfekte musikalische Umsetzung der Thematik. In Sachen Härte kommt wohl nur „Rikin“ and „Hvølja“ heran, das mir sogar noch einen Ticken besser gefällt.

Beendet wird das Album mit einer Aufnahme von 1958, in der Niels Mørk aus Sandvík, der im Alter von 19 Jahren am Unglücksgrind teilnahm, von den Geschehnissen berichtet. Die Band hat dabei die ursprünglich über 40 Minuten lange Aufnahme sinnvoll zusammengeschnitten und gekürzt, so dass nur die wichtigsten Elemente enthalten sind. Die Erlaubnis, diese Aufnahme zu verwenden, erhielten HAMFERÐ von Niels Mørks Tochter, einer Nachbarin von Keyboarder Esmar Joensen. Hierdurch wird das Album noch einmal sehr persönlich, direkt und zeigt, wie zeitlich nahe dieses Unglück noch immer ist. Unterlegt ist diese Aufnahme mit zarten Akustikgitarren, die die Dramatik der Erzählung und die Nachwirkungen des Unglücks in der Dorfgemeinschaft unterstreichen sowie Wellenrauschen (den Wellen vom Strand in Sandvík?). Hier wird auch klar, woher der Titel des Albums stammt. Niels Mørk sagt „Men Guðs Hond Er Sterk“ (dt.: Aber Gottes Hand ist stark), als er erklärt, dass sich so oft zeigt, wie sehr sich das, was der Mensch geplant hat, vom letztendlichen Ergebnis unterscheidet. Womit wir in gewisser Weise bei der Definition von Doom wären.

„Men Guðs Hond Er Sterk“ wurde größtenteils live im Studio eingespielt und hat dadurch einen erdigeren Sound als viele andere Alben heutzutage. Es ist in Teilen schneller, härter und intensiver als man das von der Band gewohnt ist, aber ihr Klang ist unverkennbar und vieles ist auch wohlbekannt. Der Sound ist wohlausbalanciert, die einzelnen Instrumente bekommen den Raum, den sie brauchen, nehmen sich aber auch mal zurück, wo es erforderlich ist. Das Schlagzeug steht oft im Vordergrund, ohne jedoch überpräsent zu sein und die Gitarren sorgen für eine wunderbare, düstere Atmosphäre. Die Färinger haben sich in den sechs Jahren seit Veröffentlichung von „Támsins Likam“ deutlich weiterentwickelt und sind sich doch treu geblieben. An HAMFERÐ habe ich immer hohe Erwartungen – und sie sind ihnen wieder gerecht geworden. „Men Guðs Hond Er Sterk“ ist der Inbegriff von Funeral Doom und schon jetzt eines der Alben des Jahres. Jeder, der auf Doom steht, sollte sich das anhören. (Anne)

 

Bewertung:

Anne9,0 9 / 10

Anzahl der Songs: 8
Spielzeit: 43:38 min
Label: Metal Blade Records
Veröffentlichungstermin: 22.03.2024

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