Im November letzten Jahres veröffentlichten DON’T DROP THE SWORD mit „Age Of Heroes“ endlich ihr zweites Studioalbum. Nun hatte ich endlich Zeit für das seit längerem geplante Interview mit Sänger Anti, der sich sehr viel Zeit nahm und ausführlich über die Themen Inspiration, Literatur, das Texten und die Zusammenarbeit mit LIV KRISTINE Auskunft gab. Viel Spaß!
Matthias: Hallo Anti, wie geht es dir?
Anti: Ganz ehrlich? Im Moment könnte es besser sein. Viele kleine und große Baustellen. Aber aufgegeben wird nur da, wo es sinnvoll ist und vorher wird geändert, was zu ändern ist. Don´t drop the Sword und so, ihr wisst ja...
Matthias: Ihr habt mit „Age Of Heroes“ letztes Jahr euer zweites Album veröffentlicht. Wie zufrieden bist du mit den Reaktionen darauf?
Anti: Sehr, was nicht allzu schwierig ist, da sie eigentlich durchweg positiv sind. Was an negativer Kritik aufkam, ist eigentlich alles Geschmackssache und da kannst und musst du ja auch nicht groß was damit machen – wenn´s wem nicht gefällt, ist es nun mal so.
Matthias: Dein Gesang wird oft mit dem von Hansi Kürsch (BLIND GUARDIAN) verglichen. Ehrt dich so etwas oder ist das nicht manchmal auch nervig?
Anti: Einfache Antwort: Ja.
Ne, ganz ehrlich, zu ziemlich genau 93% fühl ich mich natürlich gebauchpinselt. Das ist ein Vergleich mit einem Gesangsgott und nichts, worüber ich mich ernsthaft echauffieren könnte.
Aber manchmal wünsch ich mir schon, einfach zu hören „Geile Stimme!“ ohne dass ein „...wie der Hansi!“ drangehängt wird.
An sich natürlich Jammern auf höchstem Niveau, aber ich denk es ist verständlich, dass man gern mal unabhängig von Maßstäben gelobt wird. Es macht halt auch ein bisschen Druck, wenn die Leute erwarten, dass du wie XY klingst und man kann dadurch auch wie ein bloßes Abziehbild wirken oder als würde man jemanden nachahmen.
In meinem Fall ist es zumindest reiner Zufall, dass ich so klinge. Ich hab bei meiner ersten Band genauso geklungen, was Dom - mit dessen alter Band DISTORTED PERFECTION wir damals gespielt haben - überhaupt erst drauf gebracht hat, mich zu DDTS dazu zu holen.
Matthias: Wie kamst du zum Singen und hattest du je Unterricht?
Anti: Ein bisschen wie die Jungfrau zu Drillingen. In Landshut gab´s eine Kneipe, das Vempire, immer voller Metaller, Grufties, Punks etc. Entsprechend wild auch die Hintergrundbeschallung, da war alles dabei und ich hab mitgejault - bei EAV, Knorkator, Maiden, Priest, HIM, ASP, was grad herging und mir gefiel. Und ich hab einfach gern dreistimmig gesungen: Laut, begeistert, falsch. Letzteres war wohl dann doch nicht ganz so schlimm, weil während meiner „Painkiller“-Karaoke-Version jemand am Tisch sinngemäß meinte „Alter, wir brauchen nen Sänger für unsere Band und das bist jetzt du!“ Das war dann meine erste Band IMPROVED GODS. Damals war ich weit entfernt von Gesangsunterricht, hab mit Dark Tranquillity und Pantera versucht Growlen und Screamen zu lernen und ansonsten einfach gemacht, wie ich meinte, dass es passt. Das ging auch echt gut, was eine Frechheit ist, wenn man bedenkt, dass ich null Ahnung hatte was ich da tu...und so hab ich auch bei DDTS Jahre später angefangen und weitergemacht bis zur „Age Of Heroes“ ungefähr. Da hab ich dann im Vorfeld zwanzig Stunden Gesangsunterricht genommen und mich von meiner Lehrerin (Grüße an Conny Kreitmeier!) komplett auf links drehen lassen und von vorn anfangen müssen. Das ist als würdest du jahrelang versuchen, Suppe mit der Gabel zu essen und dann klatscht dir wer einen Löffel hin und du musst erstmal rausfinden, wie man das dämliche Ding jetzt in die Hand nimmt und bedient. Aber ich merk, dass es einiges geholfen hat – keine Ahnung, ob man es als Hörer wahrnimmt, aber ich brüll mir nicht mehr wie ein Depp die Seele aus dem Leib. Danke, Conny!
Matthias: Lass uns über die Texte bei DON’T DROP THE SWORD sprechen. Mir ist aufgefallen, dass du bei „Into The Fire“ auf der gleichnamigen EP das Ringgedicht in der Sprache Mordors zitiert hast. War Tolkien damals eine große Inspiration für dich?
Anti: War er, ist er, wird er immer sein. Ich nehm damit eine Frage vorweg, aber wenn´s nach mir ginge, hätten wir schon ein Konzeptalbum oder zumindest ne Konzept-EP über seine Werke geschrieben. Ich bin zwar keiner von diesen beneidenswerten Menschen (wie z.B. Doro Erber, die übrigens unsere letzten zwei Scheiben mit ihrem Fantasy-orientierten Artwork optisch umgesetzt hat), die sich das Silmarillion und alles weitere ins Gehirn pressen und sich tatsächlich an alle möglichen Namen und Ereignisse exakt erinnern können, aber ich liebe die Geschichte, Moral und Atmosphäre der Welt, vor allem des Herrn der Ringe. Ich weiß zwar, dass ich nicht mit den echten Nerds mithalten kann, aber ich recherchier für meine Texte gründlich und denke, dass mein Enthusiasmus für die Welten und Hintergründe das fehlende Auswendigwissen aufwiegt.
Matthias: Du scheinst viel Zeit auf die Texte zu verwenden. Denkst du, dass die Fans, sich diese durchlesen oder bist du der Meinung, dass diese für die meisten eher zweitrangig sind?
Anti: Das kommt, denk ich, darauf an, was mit „viel Zeit“ gemeint ist. Ich würde eher sagen, ich verwende viel Leidenschaft und Sorgfalt darauf. Ich lese mich ordentlich in die Themen ein, versuche alle Hintergründe richtig zu erfassen, Ereignisse sowohl faktisch als auch atmosphärisch umzusetzen und meine eigenen Interpretationen von z.B. Charakteren oder vermittelten Werten einer Geschichte möglichst nachvollziehbar zu machen. Oder, falls ich mir Geschichten selber ausdenke, möglichst keine Plot Holes zu fabrizieren.
Was die Fans angeht - viele freuen sich brutal, dass jemand sich ihrer Lieblings-Fandoms annimmt und das dann auch angemessen, mit Leidenschaft und Respekt vor dem Material umsetzt. Einmal wurde mir sogar nach einem Konzert von einem langjährigen Fan der Band gesagt, dass sie sich immer fühlt, als würde ich sie auf eine Reise mitnehmen, wie eine Landkarte, die man erkunden kann. Das erfüllt dann sogar mich mal mit Stolz!
In meinem Facebook-Profil steht zu dem Thema übrigens heute noch ein Hansi-Zitat:
„Wer sich die Lyrics von "A Night At The Opera" durchliest, sollte eigentlich zu dem Schluss kommen: Hey, da hat sich jemand Gedanken gemacht! Aber wer interessiert sich schon für gute Texte...“.
Den Frust kann ich nachvollziehen, wenn man sich halt wirklich Mühe gibt, statt nur zu texten, damit was zum Singen da ist. Für mich ist es so, dass die Musik einen Text möglichst passend transportieren sollte und beide sich idealerweise dabei ergänzen, aber da spricht halt der Möchtegernpoet und Geschichtenerzähler. Andere haben die Prioritäten woanders, Musiker wie Fans - und das sei ihnen gegönnt. Ich werd meine Texte aber immer so schreiben, dass sie meinen eigenen Ansprüchen genügen, in Inhalt und Form. Und wenn das mal nicht jedermanns Geschmack treffen sollte und die deswegen weniger gelesen oder beachtet werden, ja mei. Dann bin ich mir wenigstens selber treu geblieben.
Matthias: Wie kann ich mir den Prozess des Schreibens vorstellen?
Anti: Sehr vielseitig...ich hab während meiner Studienzeit z.B. den meisten Text von „Path To Eternity“ während verschiedener Vorlesungen geschrieben und dann Zuhause noch Feinschliff betrieben. Kommt einem ja auch manchmal vor wie eine Ewigkeit in der Uni, je nach Thema. „Banished To Nightly Realms“ hab ich auf eine Nacht im Bett auf nen Block geschrieben und danach auch nur noch ein paar Stellschrauben bei der Wortwahl gedreht. Meine Songs für die „Age Of Heroes“ sind glaub ich komplett am PC entstanden, aber den Sprechpart im Prelude, den unser lieber Konstantin Angelov eingesprochen hat, hab ich in zwanzig Minuten im Auto zusammengedichtet, während ich auf meine Freundin gewartet habe. Du weißt nie, wann dich die Muse küsst. Oder dir einfach eine ins Fressbrett zimmert und dich anschreit du sollst dich jetzt verdammt nochmal hinsetzen und aus der Idee einen Song machen, wenn du deine Finger behalten willst.
Also kann´s passieren, dass ich während der Arbeit anfang, Zeilen auf meinen Arm zu schreiben oder dass ich mich kontrolliert vor den PC hocke und versuche, aus einem Song rauszuhören, was er von mir textlich und gesanglich will. Oder dass ich beschließe, ich muss einen Song über den letzten Tempelritter machen und mir dann ein Buch über sein Leben besorge, damit auch ja alles stimmt. Und bei manchen Texten veränder ich dann nach zwei Jahren oder kurz vor der Studioaufnahme noch Kleinigkeiten, weil da einfach nochmal irgendwas besser passt. Wie eingangs gesagt – sehr vielseitig.
Matthias: Du schreibst ja über verschiedene Themen und schaust auch über den Tellerrand der typischen Fantasy hinaus. So findet man zum Beispiel bei euch auch Songs über Gladiatoren, ägyptische Gottheiten, Robin Hood oder solche die von „Der Wüstenplanet“ inspiriert sind. Kann ich mir das so vorstellen, dass du beim Lesen überlegst was du für die Band verwenden könntest oder geschieht das dann eher spontan?
Anti: Das versuch ich jedenfalls, manchmal gibt es aber auch einen Grund, dass etwas schon oft gemacht wurde – wie z.B. Tolkien´s Werke zu adaptieren oder über eine Geschichte von Stephen King zu schreiben. Die Texte der Songs, die du jetzt genannt hast, sind witzigerweise nicht von mir, sondern von Dom und Max, aber die Antwort ist dieselbe:
Ich hab entweder Themen/Geschichten, über die ich schreiben möchte und bei denen ich a) warte, bis ein passendes Instrumental kommt oder b) den Text schreibe und mir grob überlege, wie der Aufbau und die Atmosphäre sein sollen und das dann von denen ausgearbeitet wird, die das besser können als ich – oder es gibt ein fertiges Lied, auf das ein Text soll und dann kram ich entweder in meinem mentalen Fundus rum oder der Song bringt mich auf ne ganze neue Idee. Oder, wenn mir gar nichts einfällt (zum Glück sehr selten), durchsuch ich einfach meine Bücher, Spiele oder das Internet solange BIS mir was einfällt. Und ich mach nichts halbarschig, also wenn ich ein Thema hab, dann gefällt mir das auch so gut, dass ich mich in den Text entsprechend reinhäng.
Matthias: Bei „A Murder Of Ravens“ auf „Age Of Heroes“ hast du dich von „Krabat“ von Ottfried Preußler inspirieren lassen. Dieses Thema ist ja für eine Metalband eher ungewöhnlich. Wie kamst du auf die Idee und wie kam es zum Duett mit Liv Kristine bei der Nummer?
Anti: Da haben zwei Sachen zusammengespielt. Zum einen war da grad die neue Avantasia-Single „The Ravenchild“ draußen und zum anderen hab ich daheim hinter meinem Schreibtisch seit Erscheinen des Albums ein Poster von ASPs „Zaubererbruder-Zyklus“ hängen. Und nachdem mir Max das Instrumental geschickt hat, war mir ziemlich schnell klar, dass dieses Monster von einem Lied perfekt für diese geniale, aber nicht zu lange Geschichte ist. Die Herausforderung war, das ganze soweit zu reduzieren, dass es auf den Song passt, aber möglichst alle relevanten Ereignisse mit rein zu bringen. Das ist zwar meistens so, aber hier hatte ich dank Max`vielseitigem Musikgerüst viel mehr Raum für Emotionen – der verängstigte Waisenjunge Krabat in den ersten zwei Versen, ein Erzähler, der von den Ereignissen in der Mühle weiß dazwischen, dann der durch Freundschaft und Liebe gewachsene Krabat, der dem Müller den Kampf ansagt, die Bösartigkeit des überlegenen Meisters, der Dialog mit der liebevollen und selbstlosen Kantorka und die angemessene Kitschigkeit des Happy Ends nach dem Zaubererduell. Ich glaub, ich hab an keinem Song bisher länger gefeilt als an „A Murder Of Ravens“. Vor allem der Duett Part musste für mich perfekt sein wegen der textlichen Spielerei mit den ineinander übergehenden Worten. Drum hab ich auch alle damit genervt, dass der authentischerweise von einer Frau eingesungen wird. Das hat dann Dom und Max auf die Idee gebracht, sich nach einer passenden Sängerin umzusehen und die fanden wir dann dank den Zweien in Liv Kristine, die sehr viel Lust auf eine Zusammenarbeit hatte. Die fand dann auch statt, in einem Studio in Luzern in der Schweiz. Ich kann dir sagen, es ist beeindruckend, einem Profi bei der Arbeit zuzuhören...Liv hat eine wunderschöne Stimme, absolut passend für die Emotionen, die ich mir für Kantorka gewünscht hatte.
Übrigens finde ich die Geschichte gar nicht so ungewöhnlich für eine Metalband...du hast einen Kampf Gut gegen Böse, dunkle Magie, einen Pakt mit dem Tod und hey, in der Verfilmung ist das Schwarze Mal auf der Stirn der Mühlenknappen sogar ein Pentagramm ;)
Matthias: Lyrisch bietet das neue Album einen bunten Themenmix. Könntest du dir vorstellen ein Konzeptalbum aufzunehmen?
Anti: Eigentlich haben wir das sogar schon, Konzepte können ja relativ weit gefasst werden. Wir sehen „Age Of Heroes“ als ein Konzeptalbum, auch wenn es keine stringente Geschichte erzählt. Alle Texte handeln von Helden (und Antihelden) sowie ihren Schicksalen oder Taten, seien sie erfunden oder historisch belegt, die Musik ist auch konzeptuell geplant mit Folk-Elementen durchzogen.
Ansonsten – absolut, wie oben schon erwähnt. Ich mag Konzeptalben, die sind eine große Herausforderung grade im Erzählen und Texte schreiben und ich hab es immer schon bewundert, wenn Bands das gut hinbekommen. Für mich wertet das eine Scheibe nochmal gewaltig auf, wenn man die Mühen auf sich nimmt und eine komplette Geschichte erzählt.
Matthias: Ich habe neulich mit Erschrecken festgestellt, dass es mittlerweile tatsächlich möglich ist, sich mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz komplette Songtexte schreiben zu lassen, welche tatsächlich Sinn ergeben. Betrachtest du diese Entwicklung mit Sorge?
Anti: Das Songtexte geschrieben werden, die Sinn ergeben? Find ich super, mehr davon!
Aber im Ernst – das Thema hat viele Seiten, ich bin noch nicht ganz klar auf einer zu finden. Man kann trefflich drüber streiten, ob da von Kreativität und Kunst als Resultat gesprochen werden kann, wem welches geistige Eigentum zusteht, ob überhaupt von Arbeit und Schaffen die Rede sein kann, wenn man Stichworte in ein Textfeld eingibt und bestenfalls noch etwas nachverfeinert...das Thema ist noch relativ jung und ich bin recht wenig involviert bzw. habe so gut wie kein Fachwissen, daher hab ich noch keine ausgereifte Meinung und verfolg verschiedene Pro/Kontra-Denkansätze. Grundsätzlich seh ich es aber als ein mögliches Werkzeug für bestimmte Sparten oder als unterhaltsames „Wow, das geht?!“, interessant ist es allemal. Was ich persönlich nie machen würde, wäre meine Kreativität abzugeben. Das sind meine Emotionen, meine Ideen und Inspirationen oder wenn man Köstler zitieren will, mein „göttlicher Funke“. Klar, man kann argumentieren, dass jeder Künstler nichts als ein Trichter ist, in den Inspiration eingefüllt wird und der daraus ein Werk destilliert oder siebt oder ähnliches. Aber im Unterschied zur KI ist Kunst (idealerweise) vom eigenen Willen bestimmt, nicht von fremdem Zwang. KI kennt keine Inspiration, nur Daten, sie schafft nichts im eigentlichen Sinne, sie käut nur wieder. Ein weites Feld, Luise. Irgendwann werd ich vermutlich zusammenhängendere Gedanken zu dem Thema haben, aber aktuell betrachte ich es eher aus dem Augenwinkel mit etwas skeptischem Interesse und sehe sowohl Nutzen als auch Risiko und Unsinn darin.
Matthias: Auf „Age Of Heroes“ lasst ihr mehr Folkelemente in euren Sound einfließen. War das so gewollt?
Anti: Absolut. Max hat das im Vorfeld für die „Age Of Heroes“ als Grundidee eingebracht und alle waren sehr angetan davon, weil es auch die Heldengeschichten super unterstützt. Passt definitiv super zu unserem melodischen Anteil, den kann man mit Instrumenten wie Flöten, Akustikklampfen, Geigen und vor allem einem stimmgewaltigen Seemannschor aus Erding sehr gut ausbauen. Die Melodien selbst sind natürlich auch darauf ausgelegt, das folkige möglichst gut überall einzuflechten und dadurch wie schon erwähnt einen roten Faden im Sinne eines Konzeptalbums zu haben.
Matthias: Welche Künstler oder Bands würdest du als deine Haupteinflüsse bezeichnen?
Anti: Hm, immer ne zweifache Frage für mich und nix, was ich kurz abfrühstücken kann, sorry jetzt schon für all die Namen. Ich bin für viel zu begeistern, glaub ich.
Aus lyrischer Sicht z.B. die schon genannten ASP, Samsas Traum und vor allem: Janus! Das ist für mich (fast) alles ziemlich beeindruckende Dichtkunst, die unglaublich gut Emotionen hervorrufen und Geschichten atmosphärisch erzählen kann. Ich hab das immer sehr bewundert, wenn Menschen mit gezielt ausgewählten Worten solche Reaktionen hervorrufen. Das ist für mich einfach stark mit der Gothic-Szene assoziiert, in der ich ja auch viel unterwegs war und der ich mich immer noch verbunden fühl.
Ansonsten sind es zwar für mein Schaffen nicht die größten Einflüsse, aber ich bewunder auch die Texte von z.B. Kettcar, Rainald Grebe, Bodo Wartke, der EAV, Wir sind Helden, Wader und Wecker...es gibt so viele geniale, durchdachte Wortgebilde da draußen, ob lustig, traurig, wütend, nachdenklich...verschließt euch nichts, nur weil es angeblich nicht in eure Szene passt. Da schränkt man sich nur ein und verpasst potentiell richtig gutes Zeug. Okay, genug moralisiert...
Gesanglich und musikalisch bin ich natürlich schon sehr im Metal zu Hause. Die Stimmen haben mich einfach immer sehr beeindruckt und mitgerissen, allen voran natürlich (im klassischeren Metal) Halford, Dickinson und Eric Adams. Für die Schreihälse hatte ich immer schon ein Faible. Außerdem haben mich Phil Anselmo, Hansi, Rock´n Rolf und Kiske oder Fabio Leone immer begeistert und seit kurzem vor allem Brittany Slayes. Im etwas extremeren Gefilde sind es Mikael Stanne, Dany Filth und Jari Mäenpää, die mich stimmlich sofort eingefangen haben. Mein erstes Mal „Blut im Auge“ von Equilibrium werd ich auch nie vergessen, da hat mir auf der „Sagas“ und „Turis Fratyr“ auch so gut wie alles gefallen. Und dann gibt’s noch genrefremdere Stimmen wie Springsteen oder Meat Loaf, die auch sehr viel für sich haben.
Dass mir so viele unterschiedliche Stimmen, Gesangsarten und Stilrichtungen so gut gefallen hat mich auch immer dazu gebracht, alles davon können zu wollen und mich stimmlich möglichst divers aufzustellen.
Matthias: Wie kamst du zum Metal?
Anti: Ganz ehrlich, manchmal kann ich es nicht so genau erinnern. Der größte Teil lag jedenfalls in meiner ersten Ausbildung – zum Postboten. Ein damaliger Azubikollege ne Stufe über mir hat mich damals musikalisch und generell unter seine Fittiche genommen und mir die Ohren mit Blind Guardian, Wizo, Subway to Sally und generell einer Mischung aus Mittelalter, Deutschpunk und Metal zugeballert. Durch ihn bin ich auch zum DSA-Spielen gekommen, was meine Vorliebe für Fantasy als Genre auch noch gefördert hat – Alois, danke für die geile Zeit! Ein anderer Kollege hat mir härteres Zeug wie Slipknot, Killswitch Engage und Coal Chamber gezeigt, ebenfalls ziemlich geil. Meine Cousine hat mir irgendwann – vermutlich davor – schon Guano Apes und Manowar vorgespielt. Ich weiß noch, dass ich einfach nicht glauben konnte, wie jemand so krass singen kann wie in „Black Wind, Fire And Steel“. Da muss ich so um die sechzehn gewesen sein, als das anfing, vorher war das härteste für mich Roxette. In Dingolfing, meiner Heimatstadt, gab´s damals noch das Strich 8, eine alternative Disco für Punks, Metaller, Grufties mit entsprechenden Musikabenden, da hab ich auch ständig neues Zeug entdeckt – Drowning Pool, System Of A Down, Disturbed waren damals im Kommen. Später dann über eine Freundin mehr Powermetal, vor allem Sonata Arctica und Rhapsody. In meiner Rollenspielgruppe kam dann z.B. Wintersun dazu...es verschwimmt zeitlich alles ein bisschen miteinander, aber es war verdammt cool, diese Szenen zu entdecken. Ab nach Wacken, überhaupt Konzerte und Festivals erleben, sich in Musik aufgehoben und verstanden zu fühlen...joa, das war meine Reise zum Metal (eigentlich die ganze schwarze Szene), ein nettes Durcheinander.
Matthias: Wie lange schreibst du in der Regel an einem Text?
Anti: Das kann ich zur Abwechslung in Kürze beantworten, mit dem guten alten „unterschiedlich“. Manches ist auf ein paar Stunden geschrieben und bleibt dann so, anderes braucht Tage oder wird nach zwei Jahren nochmal kurzfristig verändert.
Ich nehm mir für jeden Text die Zeit, die wir brauchen – der Text und ich. Ich schreib nix, damit es geschrieben ist und bin auch kein Riesenfreund davon, den Prozess zu stückeln, da geht mir zu sehr der Fluss, der Zustand in dem ich angefangen hab, verloren. Manchmal schreib ich, was sich grad schreiben lässt und mach mir dann Notizen für später, damit ich mehr in dem Zustand verankert bleib, wenn ich weitermache.
Matthias: Im Metal und ganz besonders im Power Metal wird ja viel über Fantasy Themen gesungen. Denkst du, dass die Fans manchmal auch nach einem Weg suchen dem Alltag zu entfliehen?
Anti: Absolut. Sicher nicht jeder, aber bei mir ist es so und ich bin komplett sicher, dass viele da draußen das genauso sehen – bewusst oder unbewusst. Ich seh mich da sogar in der Pflicht, diesen Eskapismus zu ermöglichen und zu befeuern. Die Welt ist momentan zum großen Teil ein brennender Haufen Scheiße. Wenn du Glück hast, stehst du am Rand, wenn du Pech hast, steckst du bis Unterkante Oberlippe drin. Wir werden tagtäglich mit der Realität konfrontiert und das geht nicht ewig gut, man braucht ab und zu eine Fluchtmöglichkeit. Das heißt jetzt nicht, dass man sich seiner Realität nicht stellen sollte, wo es nötig ist – aber davor und danach kannst du dich durch Eskapismus aufladen. Und das will unsere Musik auch ermöglichen: Kraft zu tanken durch eine kleine Reise in Welten, in denen du dich mächtig fühlst. Wenn du das Gefühl mit zurück in die Realität nehmen kannst, hilft es auch was. Eine super Metapher dafür ist für mich „Die Unendliche Geschichte“. Die Flucht aus einem unerträglichen Alltag in eine Phantasiewelt führt zu einer gestärkten Persönlichkeit in der Realität.
Matthias: Gibt es Themen über die du weder singen noch schreiben könntest?
Anti: Mit Sicherheit. Wobei ich glaub, dass man über alles schreiben „kann“, aber das wollen ist das andere Paar Stiefel. Grundsätzlich halt ich wenig vom Einhalten z.B. emotionaler Tabus in Texten, dazu ist sowohl die Gothic- als auch die Metalszene zu voll von Tabubrüchen, die gut und nötig waren und sind. Was ich nicht singen oder texten wollen würde, sind logischerweise Sachen, die gegen meine Moral, Meinungen und Menschlichkeit sprechen. Nicht, dass ich nicht ein lyrisches Ich schaffen könnte, das von seinen Gräueltaten erzählt wie, sagen wir mal, bei Eisregen. Das ist ja auch gang und gäbe und nicht per se schlimm. Aber Texte, die eine ernsthafte Ablehnung von z.B. Menschenrechten darstellen oder klar Hass schüren wollen? Merci, brauch ich nicht.
Was ich emotional kaum singen kann, ist tatsächlich „Es ist an der Zeit“ vom schon erwähnten Wader.
„Oder hat ein Geschoss dir die Glieder zerfetzt? Hast du nach deiner Mutter geschrieen bis zuletzt?“ Ich liebe das Lied über alles wegen seiner Botschaft und Wirkung, aber ganz ehrlich – ich kann´s nicht singen ohne bei der Stelle zu flennen. Keine Chance. Geht zu tief für mich.
Matthias: Wen hältst du persönlich für den besten Texter im Metal und warum?
Anti: Super Frage, schwierige Frage. Ich kenn ja auch nicht alles und weiß schon, dass es viel gutes Zeug gibt, in das ich mich aber noch nicht eingehört hab. Wer mir persönlich zuerst einfallen will, ist Mikael Stanne von Dark Tranquillity. Die Texte sind genial für mich. Überdurchschnittliches Englisch, was mich generell abholt (und der Kollege ist nicht mal Muttersprachler), selten eindeutig in der Interpretation und damit nicht einfach schnell erledigt, wenn man drüber nachdenkt...und ich hatte immer den Eindruck, dass grade die Verwendung von Worten, die fast schon wie Fachvokabular oder einfach kryptisch wirken, manche Inhalte viel emotionaler vermitteln kann. Mal kurz ein Beispiel aus „Cornered“:
"Take hold of the boundaries/On this perimeter sea/Burn, enflame the oppressors
And if four was one/In a corner alone/Recovering, licking the wounds
Delirium coming/The weakness kicks in/Reforming, cornered within"
Für mich ist das ganze Lied wie ein Fiebertraum, ein Kampf gegen eine Krankheit oder Droge oder die Mutter aller Panikattacken – ich könnte trotz all der deskriptiven Worte nie sicher sagen, wovon genau er singt, aber was rüberkommt ist für mich eine krasse Mischung aus Emotionen.
Und natürlich muss ich auch hier Hansi erwähnen, der allein mit der „Nightfall“ ein Nerdfest vom Feinsten abgeliefert hat. Die „A Night At The Opera“ ist zwar musikalisch zu viel für mich, muss ich gestehen, aber die Texte, die Themen...find ich genial. Über Fantasy und Genrekonventionen hinaus gedachte Kunst. Strotzt vor Wollen und Können.
Aber bei der Frage nach dem besten Texter stellt sich zwangsweise die Frage nach der Intention, find ich. Was willst du als Texter erreichen und wie gut erreichst du es?
Ein Ballermannhit will unterhalten, dass jeder mitbrüllen kann und Geld einbringen – Zweck erfüllt, mit Bravour.
Ein Song wie „Anita spielt Cello“ von Janus, der eine brutale Geschichte aus der NS-Zeit erzählt, will sicher nicht unterhalten, der will, dass du erschüttert dastehst und dich auf den Horror einlässt, um dich emotional und als Mensch weiterzuentwickeln (meine Interpretation jedenfalls). Das hören keine Millionen, das bringt keine endlose Kohle – aber auch hier, Zweck erfüllt.
Andere Songs wollen dich gegen Ungerechtigkeit aufrütteln, zu Revolutionen anstacheln, den eigenen Herzschmerz verarbeiten oder einfach geliebte Geschichten mit Leuten teilen...wer immer mit seinen Texten am ehesten erreicht, was er erreichen will, ist wohl der beste Texter, im Metal wie auch anderswo. Wahrscheinlich nicht wirklich messbar.
Und das passiert, wenn man mir sagt, ich könne so lang und so viel schreiben wie ich will...sorry.
Matthias: Ist es dir wichtig in den Songs Geschichten zu erzählen oder möchtest du einfach nur unterhalten?
Anti: Ausschließlich unterhalten will ich nicht, das wäre mir zu wenig. Es spielt natürlich ne Rolle, ich will die Leute ja für Musik und Texte begeistern, ich freu mir nen Ast, wenn das Publikum Zeilen oder ganze Songs mitsingt, das Gefühl ist einmalig! Aber wenn jemand sich den Text von „The Eye of the World“ anhört, dann feststellt, dass das auf Jordans „Rad der Zeit“ basiert, die Bücher liest und seine neue Lieblings-Fantasyreihe entdeckt? Das ist mir mehr wert als bloße Unterhaltung. Geschichten können Leben bereichern, durch den schon besprochenen Eskapismus, durch die Moral oder durch die schiere Ideengewalt und Inspiration dahinter. Wenn sie dann in der richtigen Form dargeboten auch noch unterhalten – perfekte Mischung, würd ich sagen, die ich anstrebe.
Matthias: Welches Buch hast du zuletzt gelesen?
Anti: Noch nicht fertiggelesen, aber die Witcher-Reihe ist momentan dran (Ja, ich bin wie immer etwas spät zur Party...).
Das letzte nicht zu ner Reihe gehörende Buch war glaub ich „His Dark Materials“ von Philip Pullman. Oder mein Wälzer mit chronologisch grob sortierten Cthulhu-Geschichten von Lovecraft, ich bin mir grad nicht mehr sicher.
Matthias: Du scheinst sehr an Literatur interessiert zu sein. Hast du ein Lieblingsbuch?
Anti: Wäre seltsam, wenn nicht, ich hab ne Ausbildung als Buchhändler und hab ein paar Semester Germanistik und Anglistik studiert...das macht man nicht ohne ne gewisse Liebe zur Literatur :)
Lieblingsbuch nein, Lieblingsbücher ja:
Stephen Kings „Es“, Tolkiens „Herr der Ringe“, Jordans „Rad der Zeit“ und so einiges von Terry Pratchett und Lovecraft, natürlich Michael Endes „Unendliche Geschichte“ und Astrid Lindgrens „Die Brüder Löwenherz“.
Matthias: Möchtest du den Fans noch etwas mitteilen?
Anti: Zwei Worte: Vielen Dank!
Mehr Worte: Ohne euch gäb´s uns nicht. Ihr habt uns dahin gebracht, wo wir sind – alles Wollen und Können nutzt nichts ohne die, die dein Zeug geil finden und feiern, die ihre Schädel schütteln, Pommesgabeln werfen und lauthals bei deinen Konzerten mitsingen. Ich kann nur für mich sprechen, aber ich denke meinen Bandkollegen geht’s genauso: Wenn ich auf der Bühne steh und euch sehe, wie ihr abgeht, mitsingt und einfach...miteinander seid, erfüllt mich das nicht nur mit ner Menge Freude, sondern tatsächlich mit Stolz. Auf das, was wir mit unserer Musik schaffen, nämlich euch so viel zu geben, dass ihr immer wieder kommt und mehr wollt. Ich hoffe, ihr könnt euch aus unserer Mucke ziehen, was immer ihr braucht – eine kleine Reise in andere Welten, eine Stütze für den Alltag, ein Gefühl von Kraft...kurzum, ein Schwert für all die kleinen und großen Kämpfe im Leben.
Nicht fallen lassen, das Ding!