Schon seit letztem Herbst hatte ich geplant, im Mai auf die Färöer zu fahren, um das Viking Festival zu besuchen. Da dachte man noch, dass sich die Coronasituation bis dahin ja beruhigt haben sollte. Dann kam die zweite Welle – und dann die dritte. Die Zahlen stiegen und stiegen und Dänemark verhängte ein Einreiseverbot. Das wurde und wurde nicht gelockert. Schließlich war es ziemlich klar: Ich würde nicht hinfahren können. Einigen meiner färöischen Freunde hatte ich schon Bescheid gegeben, dass ich nicht würde kommen können.
Genau eine Woche vor der letztmöglichen Abfahrt der Fähre schaute ich mir nochmal die dänischen Einreisebestimmungen an – mehr um meinen Frust zu bestätigen als in wirklicher Hoffnung. Doch was stand da? Dänemark hatte völlig überraschend die Einreisebestimmungen massiv gelockert und auch die Färöer hatten ihre Quarantänebestimmungen geändert. Es war also plötzlich doch möglich. Also schnell mit einer Bekannten besprochen, einen Test gemacht und alles innerhalb von ein paar Tagen gebucht. Nicht einmal eine Woche später saß ich auf der Fähre auf die Färöer und es ging tatsächlich los.
Bei der Einreise musste ein Coronatest gemacht werden, nach vier Tagen ein weiterer. Als auch der negativ war, stand dem Festival nichts mehr im Wege. Eigentlich. Denn genau als ich auf den Inseln ankam, stieg dort die Zahl der Coronafälle sprunghaft an – hat sich hier die Lockerung der Quarantäneregeln gerächt? Und das Festival stand auf einmal auf der Kippe. Doch wir hatten noch einmal Glück und es konnte stattfinden.
Der Name Viking Festival klingt für deutsche Ohren, die jahrelang mit den unterschiedlichsten Folk-Metalbands gequält und/oder belustigt wurden, erst mal ziemlich ausgelutscht. Allerdings hat das Viking Festival auf den Färöern jede Berechtigung, diesen Namen zu tragen. Zum einen ist der Austragungsort, das Dörfchen Hov, eine uralte Siedlungsstätte. Bereits in der Färingersaga ist der Ort erwähnt und eine Besiedelung seit der Wikingerzeit ist dokumentiert. Auch findet man in Hov die einzige Begräbnisstätte eines Wikingerhäuptlings auf den Färöern: Havgrímur hat hier seine letzte Ruhe gefunden.
Doch es gibt noch einen anderen Grund für das Festival. Ein örtlicher Verein hat sich das Ziel gesetzt, das erste Wikingerschiff der Färöer seit den Zeiten der Wikinger zu bauen. Dabei soll es eine Kopie des berühmten Gokstad-Schiffes werden. Zunächst soll ein Bootshaus gebaut werden (übrigens auf dem derzeitigen Festivalgelände), dann soll mit dem Bau des Bootes begonnen werden. Um Geld zu sammeln und vor allem Aufmerksamkeit auf das Projekt zu lenken, dafür wurde das Festival geschaffen, das nun schon mehrfach stattgefunden hat. Wer weitere Infos zu dem Projekt haben möchte, der klicke hier.
Das Billing ist zugegebenermaßen etwas „schizophren“, wie es ein färöischer Freund ausdrückte. Neben mehreren Metalbands spielen auch ein Bluesorchester, ein Streichquartett, eine A-capella-Truppe, ein Popduo, ein Singer/Songwriterduo und ähnliches. Andererseits findet man solch bunte Mischungen auf den Färöern ja öfter und die Metalauswahl ist schon ziemlich gut.
IMPARTIAL
Den Freitag lassen wir gemütlich angehen und laufen erst zu IMPARTIAL, der ersten Metalband, auf dem Gelände auf. Da ich mit Färingern unterwegs bin kommen wir natürlich etwas zu spät. Und da wir am Einlass und auf dem Weg zur Bühne ständig Leute treffen, wird es natürlich noch etwas später, so dass wir fast die Hälfte des Auftritts verpassen. Was aber zu verschmerzen ist. IMPARTIAL gehören nun nicht zu meinen färöischen Lieblingsmetalbands, dafür klingen sie mir einfach zu gewöhnlich, nicht speziell genug. Die junge Truppe hatte zwar die letztjährige färöische Wacken Metal Battle gewonnen und darf deshalb irgendwann mal, wenn Corona es erlaubt, in Wacken spielen, aber meiner Meinung nach hätten die zweitplazierten ÓTTI den Sieg eher verdient gehabt. Aber ich will die Band gerne sehen, denn wer weiß, ob ich jemals wieder die Gelegenheit dazu haben werde. IMPARTIAL haben etwas Mühe, das nur spärlich anwesende Publikum zu motivieren. Aber ihre Liveshow strotzt jetzt auch nicht gerade vor Energie. Die Band ist noch ziemlich jung, wurde erst 2017 gegründet, so dass sich hier noch einiges ändern kann, aber im Moment sind sie nicht besonders beeindruckend. Nett, ja. Aber das war es dann auch schon. Und ich frage mich wieder, wie sie es geschafft haben, bei der Wacken Metal Battle zu gewinnen.
MARRA
JANUS Á HÚSAGARÐI sparen wir uns, beziehungsweise bekommen wir nur am Rande mit. Die nächste wirklich interessante Band ist MARRA, die man fast schon als färöische All-Star-Band bezeichnen kann. Die Truppe wurde zwar erst vor kurzem gegründet, ihre Mitglieder sind allerdings alles andere als Unbekannte in der färöischen Metalszene. Am bekanntesten sind dabei sicher Terji Skibenæs (Ex-TÝR), Mikkjal G. Hansen (SIC) und Heri Reynheim (HAMRADUN). Musikalisch dürfte es sich um die härteste Band des Festivals handeln, ist man doch stark von PANTERA inspiriert (und betreibt nebenher unter anderem Namen, jedoch mit ähnlicher bis gleicher Besetzung noch eine PANTERA-Coverband). Trotz des Bekannheitsgrades der einzelnen Mitglieder hat die Band dennoch keinen leichten Stand, denn bisher hat sie noch keine eigenen Songs veröffentlicht und PANTERA ist nun auch nicht jedermanns Sache. Dennoch macht die Truppe live ordentlich Spaß und kann auch so einige Leute vor die Bühne locken. Den größten Anteil daran hat sicherlich Fronter Mikkjal, der unablässig post, sich die Seele aus dem Leib brüllt, das Publikum animiert und mit gewagten Scherzen („Jetzt spielen wir einen GUNS ’N‘ ROSES-Song, zu, dem man gut tanzen kann! – Nee, das machen wir nicht!“) bei Laune hält. Mit seiner energiegeladenen Show macht der Fünfer definitiv Lust auf mehr, hier bin ich wirklich auf das Debütalbum gespannt.
ASYLLEX
Die nächste Band gehört zu denen, die ich unbedingt sehen wollte. Das letzte Album von ASYLLEX hat mir ja richtig gut gefallen und ich habe die Band noch nie live gesehen. Daher bin ich neugierig, ob die Truppe das hohe Niveau des Albums auch live halten kann und wie sie sich generell so macht. Auch ASYLLEX haben bereits einmal die Wacken Metal Battle Føroyar gewonnen und schon in Wacken gespielt. Und obwohl die Band im nächsten Jahr schon ihren zehnten Geburtstag feiern kann, sind die einzelnen Bandmitglieder noch sehr jung – die Thrasher haben einfach wirklich früh angefangen. Musikalisch konzentriert man sich auf das aktuelle Album, das zu meiner persönlichen Freude nicht mehr ganz so thrashig ausgefallen ist, sondern auch viele andere interessante Elemente enthält (allem voran die Orchestrierung). Von daher bin ich mit der Songauswahl ziemlich zufrieden. Auf Platte greift die Band auf gleich drei Gitarristen zurück, live beschränkt man sich auf zwei und Hans Hammer konzentriert sich ganz auf das Singen, was sicher nicht die dümmste Idee ist. Dennoch fehlt irgendwie was. Die Band schafft es nicht, die Energie des Albums auch zu 100 % auf die Bühne zu transportieren. Zwar gibt sich Sänger Hans alle Mühe das Publikum zu animieren und er selbst bewegt sich auch richtig viel auf der Bühne, der Rest der Band wirkt allerdings eher etwas steif. Dabei wären die etwas frischen Temperaturen doch ein Grund für mehr Bewegung gewesen. Nicht umsonst kündigt Hans Hammer den Song „Frostbitin“ mit „passt perfekt zum heutigen Abend!“ an. Vielleicht ist der Abend auch einfach zu spät und die Nacht zu kalt.
Setlist ASYLLEX:
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Lost Life
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Reckoning Day
Welcome To The Night
Frostbitin
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Concrete Shoes
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Child Of War
Spirits
Murder
Between Life And Death
Freitag, 28.05.2021 (Fotos: Anne)















































Samstags will ich eigentlich auch erst zur ersten Metalband kommen, aber irgendwie bin ich ziemlich müde und habe keine Lust so wirklich was anderes zu machen. Morgens ist zudem das Wetter nicht besonders einladend und so kann ich mich nicht recht zu einer Wanderung aufraffen. Gegen Mittag klart der Himmel jedoch auf und beschert uns für den Rest des Tages perfektes Festivalwetter mit Sonnenschein bis die Sonne hinter den Bergen verschwindet. Also fahre ich doch schon deutlich früher zum Festivalgelände, denn zu Hause nur rumsitzen bei schönem Wetter ist doof und in Hov sind jede Menge Leute, die ich kenne. Also sehe ich mir von weitem auch noch die Musikgruppen an, die mich nicht so wirklich interessieren. Das wären KALAS, ein junges Streicherensemble, die ich auch schon in der Woche vor den Faroese Music Awards 2019 gesehen habe, LÍV & TRÓNDUR (UND mein Bekannter Johan Hentze, wie Organisator Júst Johannesen nochmal extra betont), die A-Capella-Truppe KATA und das Bluesorchester aus Froðba. Ist alles ganz nett, aber zum Fotos machen kann ich mich dann doch nicht aufraffen.
TÝR
Von daher sind dann TÝR tatsächlich die erste richtig interessante Band für mich an diesem Tag. Für färöische Verhältnisse müssen sie ziemlich früh ran, es ist noch längst nicht dunkel, aber immerhin scheint die Sonne nicht mehr direkt auf die Bühne. Organisator Júst Johannesen, der es sich nicht nehmen lässt, jede einzelne Band anzukündigen ist mittlerweile zunehmend heiser. Gleiches kann man über TÝR nicht behaupten. Die Band ist heiß auf ihren ersten Auftritt seit fast anderthalb Jahren – und außerdem ist es der erste Auftritt mit ihrem neuen Gitarristen Hans Hammer (den man am Abend vorher schon mit seiner Band ASYLLEX als Sänger sehen konnte). Viele dachten ja, dass Terji wieder aushelfen würde, zumal er ja auch vor Ort ist. So dürfte der ein oder andere doch überrascht gewesen sein. Beim ersten Song ist das Publikum noch etwas steif, doch mit „Sinklars Vísa“ kann man die Färinger schnell auf seine Seite ziehen. Zunächst verliert man kein Wort über den Neuzugang in der Band, doch wie könnte man ihn auch besser vorstellen als mit der Ankündigung des Songs „Hail To The Hammer“? Die Band hat im Vorfeld des Auftritts intensiv geprobt und das merkt man auch während des Gigs. So gut und enthusiastisch habe ich TÝR – abgesehen von den Konzerten mit dem färöischen Symphonieorchester – schon lange nicht mehr gesehen. Insbesondere Bassist Gunnar Thomsen sorgt für Stimmung auf und vor der Bühne und integriert problemlos das neue Mitglied Hans in seine Posen. Das heimische Publikum feiert kräftig mit und mit „Tróndur Í Gøtu“ gibt es dann noch einen Song, wie er thematisch nicht besser zum Festival passen könnte. Hat dieser Tróndur doch gemäß der Färingersaga gemeinsam mit dem oben erwähnten Havgrímur die beiden Herrscher Brestir und Beinir umgebracht. Auch einer meiner persönlichen Lieblingssongs darf nicht fehlen – „Regin Smiður“. Der letzte Song ist bei Konzerten auf den Färöern eigentlich immer der gleiche: „Ormurin Langi“ und wie fast jedes Mal ist auch dieses Mal wieder Pól Arni Holm zugegen, um den Song mit der Band zu performen. Das Stück war einst der Song, der die Band in ihrer Heimat bekannt gemacht hat und ist schon fast sowas wie ein Evergreen. Die Färinger springen sofort darauf an und überall im Publikum kann man sehen, wie der traditionelle färöische Kettentanz getanzt wird. Schade, dass der Auftritt nun schon vorbei ist, das war einfach viel zu kurz! Einer Kritik, die ich öfter von Färingern gehört habe, muss ich mich jedoch anschließen: Man hätte schon eine spezielle „Färöer-Setlist“ spielen können. Viele haben sich weniger neue Songs und mehr Kvæði gewünscht, und dem schließe ich mich an. Wo sonst als in der Heimat soll man diese spielen und viele Mitsänger haben?
Setlist TÝR:
Blood Of Heroes
Sinklars Vísa
By The Sword In My Hand
Ragnars Kvæði
Hail To The Hammer
The Lay Of Thrym
By The Light Of The Northern Star
Tróndur Í Gøtu
Evening Star
Regin Smiður
Hold The Heathen Hammer High
Ormurin Langi
HAMRADUN
Im Anschluss an TÝR spielen SWANGAH, einer der bekanntesten färöischen Hip-Hop-Acts und das Publikum fährt auch so richtig auf die Truppe ab, aber mir ist das dann doch etwas zu viel. Lieber erst mal was trinken, bevor es dann mit HAMRADUN, einem der Gründe, warum ich überhaupt hier bin, weiter geht. Mittlerweile ist es ziemlich spät und es sind doch etwas weniger Zuschauer vor Ort, die sind dafür aber umso enthusiastischer. Bei allen anderen Bands konnte ich nach dem Fotografieren nochmal locker in die erste Reihe zurück – bei HAMRADUN unmöglich. Die Zuschauer in der ersten Reihe schaffen es sogar, im Laufe des Auftritts im Überschwang die Absperrung teilweise zu zerstören. Doch los geht es eigentlich eher ruhig mit dem alten dänischen Lied „Kirsten Piils Kilde“, das seit einigen Jahren die Auftritte der Band eröffnet. Wer bei TÝR noch die färöischen Stücke bzw. die traditionellen Kvæði vermisst hat, der kommt hier voll auf seine Kosten. Fast alle Songs sind hier auf Färöisch und es gibt auch ein paar unbekanntere Kvæði zu hören. Dabei werden sie oft noch von einigen Backgroundsängern unterstützt, wie man es auch in den Aufnahmen vom Releasekonzert des letzten Albums sehen kann. Das verleiht den Stücken, bei denen ja traditionell die Strophen von einem Vorsänger und der Refrain von allen gesungen wird, einen noch authentischeren Touch. Und natürlich singt mindestens bei den Refrains das Publikum lautstark mit. Interessant ist, dass auch HAMRADUN ihre Version von „Sinklars Vísa“ spielen, so dass man dieses Stück gleich zweimal an diesem Abend zu hören bekommt. Allerdings ist die Version von HAMRADUN deutlich länger und der Kettentanz im Publikum fällt daher auch viel ausgeprägter aus. Besonders freue ich mich über „Kvæðið Um Hargabrøður“, das ich eigentlich erst so richtig zu schätzen weiß, seit ich den wunderbaren Text dazu übersetzt habe. Der Sechser ist heute nur zu fünft unterwegs, da Keyboarder Finnur Hansen gerade Großvater geworden ist und sich deshalb in Dänemark aufhält. Daher gibt es heute keine ausschweifenden Hammondorgelparts, dafür kann Gitarrist Uni Debess sich aber voll und ganz ausleben und bei „Frísanir“ packt es ihn dann so richtig. Auch HAMRADUN merkt man die Freude an, endlich wieder auf der Bühne stehen zu können und ein richtiges Konzert zu spielen. Mit „Jallgríms Kvæði“ geht der Auftritt dann gefühlt viel zu früh zu Ende. Aber: Ein wichtiger Song fehlt ja noch, und so gibt es als Zugabe wie so oft „Fagra Blóma“, einen Song, der eigentlich aus der Feder des großen Hanus G. Johansen stammt. Dieses Stück kennt wirklich jeder Färinger, und zwar auswendig. Hier müsste Pól Arni Holm eigentlich überhaupt nicht singen, das Publikum singt geschlossen den gesamten Text mit. Immer wieder ein Gänsehautmoment. Aber – letztendlich sind HAMRADUN ja doch eine Rockband und wir sind hier immerhin auf dem Viking Festival, also gibt es zum Abschluss einen der härtesten Songs der Band. „Naglfar“ ist dann wirklich das letzte Lied. Leider. Auch das Publikum hätte gerne noch mehr gesehen. Danach spielt zwar noch EYÐUN NOLSØE, aber für mich ist das Festival hier auch zu Ende. Schön war’s.
Setlist HAMRADUN:
Kirsten Piils Kilde
Sneppan
Snæbjørn
Sigmunds Deyði
Hevndin
Kvæðið Um Hargabrøður
Útlegd
Sinklars Vísa
Síðsta Løtan
Frísarnir
Jallgríms Kvæði
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Fagra Blóma
Naglfar
Es war schon etwas Besonderes, nach rund 2 Jahren endlich wieder auf einem Festival zu sein. Auch wenn es nur ein eher kleiner Rahmen war. Die Färöer sind bisher gut durch die Pandemie gekommen, es gab nur relativ wenige Fälle auf den Inseln und durch strenge Einreisebestimmungen und Quarantäneregeln konnte man die Zahlen niedrig halten und so ein fast normales Leben ermöglichen. Masken sieht man hier nur selten. Auf dem Festival wurde empfohlen, Masken zu tragen und ab dem zweiten Tag stand auch Desinfektionsmittel zur Verfügung, aber grundsätzlich war es ein ganz normales Zusammenkommen. Man umarmte sich, schüttelte Hände, trank zusammen – auf der einen Seite fühlte es sich etwas seltsam an, auf der anderen Seite war es dann wieder völlig normal, wie früher eben. Ich freue mich schon drauf, wenn es bei uns auch wieder so ist. (Anne)
Samstag, 29.05.2021 (Fotos: Anne)




